Strategien


Besuch im Data Lab

Volkswagen: Können, was Google nicht kann

Klar ist aber auch: Das Lab entwickelt einen ersten Prototypen. Doch bevor er in Serie geht, muss er die üblichen Tests und Qualitätssicherungen bestehen. Stabile Systeme sind Pflicht: "Unsere weltweit 119 Werke müssen unterbrechungsfrei arbeiten. Dasselbe gilt für die Systeme bei unseren Händlern und Zulieferern", betont Hofmann. Im Lab selbst haben die Mitarbeiter aber viele Freiheiten: "Die Leute dürfen hier Fehler machen - und sollen daraus lernen." Deswegen hat der Wolfsburger Autokonzern auch die klassische IT vom experimentellen Lab getrennt. "Nach vielen Gesprächen mit Experten und Beratern bin ich der festen Überzeugung: Es geht nur mit einer zweigleisigen Organisation", sagt Hofmann. Oder auf Neudeutsch: einer Two-Speed-Organisation.

Seine Begründung: In der klassischen IT der Autobauer drehe es sich um hochverfügbare Systeme, die konstant und zuverlässig arbeiten müssten. Deshalb lasse die IT dort der Technologieentwicklung bewusst etwas Vorsprung, weil die Systeme etabliert sein und stabil laufen müssten. Da gebe es keine Kompromisse.

Hürden der Two-Speed-Organisation

Eine Two-Speed-Organisation bietet allerdings auch Reibungsfläche. Die Leute aus der "neuen IT-Welt" stehen auf der Bühne und präsentieren ihre hippen Projekte im Rampenlicht, während Mitarbeiter aus der "alten IT-Welt" viel weniger wahrgenommen werden. Das weiß auch Konzern-CIO Hofmann und stellt klar: "Es gibt keine Mitarbeiter zweiter Klasse. Jeder ist wichtig. Und jeder bringt das Unternehmen mit seiner Aufgabe voran. Denn nur gemeinsam arbeitet die IT als starkes Team.

So kommen immer wieder Leute aus der klassischen IT ins Lab, wo sie für einige Zeit mitarbeiten. "Wer ­einmal hier war, ist begeistert. Die Arbeit im Data Lab öffnet den Blick für neue Herangehensweisen. Das wirkt auch auf das eigene Tun", berichtet Cornelia Schaurecker. Letztlich schießen die zeitweiligen Mitarbeiter dann das Tor im Fachbereich, weil sie dort neue Ideen mitbringen und um­setzen.

Data Scientists, Robotikspezialisten, Wissenschaftler und Experten aller Fachrichtungen arbeiten zusammen.
Data Scientists, Robotikspezialisten, Wissenschaftler und Experten aller Fachrichtungen arbeiten zusammen.
Foto: Volkswagen

Ein wichtiger Bestandteil der neuen Arbeitsmethoden besteht im Design ThinkingDesign Thinking. Kern dieser Methode ist es, den Kunden bedingungslos in den Mittelpunkt zu stellen. Das heißt auch, dass Kunden inzwischen mit in den Workshops sitzen. Das ist neu. ITler und Fachbereich können sich nach Projektstart nun nicht mehr in ihr Kämmerlein zurückziehen. Im Lab arbeitet dafür eigens eine Design-Thinking-Coachin für die Mit­ar­beiter. Alles zu Design Thinking auf CIO.de

Der Kunde muss begeistert sein

Im Zentrum steht immer die Frage: Brauchst du das, was bringt dir das? "Wenn vom Kunden kein Hurra kommt, wird die Anforderung schon in der Diskussion gestrichen", erklärt Hofmann. So sollen Tools nicht mit überflüssigen Funktionen überfrachtet werden: "Dank Design Thinking und agiler Softwareentwicklung wie Scrum oder Extreme Programming vermeiden wir unnötigen Ballast.

In diesem Jahr stellte Volkswagen den Golf R Touch vor. Er ist vollgepackt mit neuen Technologien, etwa aus der Gesten­steuerung: Einmal mit der Hand in Richtung Frontscheibe wischen, und das Schiebe­­dach schließt sich. Das 300-PS-Auto soll 2016 als eine Version des Golf VII auf den Markt kommen.
In diesem Jahr stellte Volkswagen den Golf R Touch vor. Er ist vollgepackt mit neuen Technologien, etwa aus der Gesten­steuerung: Einmal mit der Hand in Richtung Frontscheibe wischen, und das Schiebe­­dach schließt sich. Das 300-PS-Auto soll 2016 als eine Version des Golf VII auf den Markt kommen.
Foto: Volkswagen

Im Lab durchläuft ein Großteil aller Projekte eine vorgelagerte Design-Thinking-Phase, wie man es auch an den Postern überall an den Wänden des Labs sehen kann. "Damit erkennen wir schnell, was wir in einem Projekt erreichen und wie wir uns organisieren wollen", erklärt Schaurecker. Und das Wichtigste: "Am Ende ist das Produkt ein Teamergebnis und nicht die Idee eines Einzelnen.

"Volkswagen plant drei weitere Labs - in Berlin, Peking und San Francisco. Insgesamt sollen dort 300 Mitarbeiter beschäftigt werden. Während in München die Data Scientists sitzen, sollen die Kollegen in San Francisco das Silicon Valley nach interessanten Startups durchkämmen, das Prototyping für neue Technologien übernehmen sowie digitale Retail-Lösungen entwickeln und Trends aufspüren. In Peking wiederum soll ein Team aus Wissenschaftlern und Entwicklern entstehen, das die Lösungen aus den Labs in München, San Francisco und Berlin weiterentwickelt.

Größter Fahrzeugleitstand in Berlin

Im Berliner Lab, das in diesem Sommer eröffnet werden soll, wollen die Wolfsburger den größten Fahrzeugleitstand der Automobilbranche bauen. Dort sollen verkehrsrelevante Informationen zusammengeführt werden, die von vernetzten Fahrzeugen produziert werden. Eine der Visionen: Wenn beispielsweise ein Autofahrer auf dem Weg zum Flughafen in Hannover auf der A2 im Stau steckt, wird er automatisch bei seiner Fluggesellschaft auf den späteren Flug umgebucht. Auch vor Staus oder Glatteis würde das System warnen. Zudem soll es bei Car-Sharing-Angeboten helfen oder die Parkplatzsuche unterstützen. "All das ist eine wichtige Vorstufe zum autonomen Fahren", sagt Lab-Leiterin Schaurecker.

Mit drei Displays im Golf R Touch für Infotainment-Systeme, Control-Center und einem Active Info Display soll sich das Cockpit besonders einfach bedienen lassen.
Mit drei Displays im Golf R Touch für Infotainment-Systeme, Control-Center und einem Active Info Display soll sich das Cockpit besonders einfach bedienen lassen.
Foto: Volkswagen

Nicht nur Volkswagens IT-Organisation und das Management sehen die Data Labs als wichtige Forschungslabore für die Zukunft an. Auch die Mitarbeitervertretung unterstützt sie. "Ohne Betriebsrat würde es uns nicht geben, dafür bin ich den Kollegen sehr dankbar", sagt Schaurecker. Der Betriebsrat aus Wolfsburg besucht das Lab alle vier Wochen und finanziert es sogar mit. Denn ihm ist wichtig, dass Volkswagen bei Zukunftsthemen vorne mitspielt.

"Das Auto ist und bleibt der Kern"

Trotz allem ist Hofmann sicher: "Die Entwicklung und Produktion von Autos steht auch in zehn Jahren noch im Zentrum. Das Auto ist und bleibt der Kern." Um diesen Kern herum entständen neue Mobilitätsangebote wie etwa gemanagte Verkehrsinfrastrukturen. "Die IT macht gerade riesige Sprünge nach vorn. Mitunter ist das ein spannender Lernprozess", sagt Hofmann.

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