Drei Ziffern für den Notfall

50 Jahre 110 und 112

19.09.2023
Im Notfall erst einmal im Telefonbuch blättern, um den richtigen Hilfe-Kontakt zu finden? Was heute dank der Notrufnummern 110 und 112 unvorstellbar erscheint, war vor einem halben Jahrhundert Realität.
Der Notruf 110 feiert Jubiläum.
Der Notruf 110 feiert Jubiläum.
Foto: Ralf Geithe - shutterstock.com

Seit 50 Jahren gibt es für Hilfesuchende in ganz Deutschland drei Ziffern, um am Telefon die Feuerwehr, einen Krankenwagen oder die Polizei zu rufen - 110 und 112. Am 20. September 1973 beschließen die westdeutschen Regierungschefs von Bund und Ländern, die Notfallnummern flächendeckend einzuführen.

Eine zentrale und gebührenfreie Notrufnummer ist seinerzeit keine Selbstverständlichkeit: Anfang der 1970er Jahre ist die Polizei nur in rund 1.000 von 3.785 Fernsprechortsnetzen unter der 110 zu erreichen. Das geht aus einem Bericht der Bundesregierung wenige Monate vor Einführung der Rufnummern hervor. Ansonsten müssen Betroffene im Notfall erst einmal den richtigen Kontakt suchen, etwa im Telefonbuch.

Die kürzesten bundeseinheitlichen Nummern

Dreistellige Nummern sind damals aus technischen Gründen die kürzesten, die bundeseinheitlich zur Verfügung stehen. Außerdem hat die 110 den Vorteil, dass sie sich an den damals verbreiteten Telefonen auch im Dunkeln leicht wählen lässt: Die Ziffern 1 und 0 befinden sich auf der Wählscheibe an den jeweiligen Enden der Skala.

Grundsätzlich existiert die 110 für die Polizei schon seit 1948, wie die Bundesnetzagentur angibt. Als die 110 für Polizei und 112 für Feuerwehr ausgewählt werden, wird demnach die Ziffernfolge 111 außen vor gelassen, um offenbar technische Probleme zu vermeiden.

115 für Behördenanliegen

In der DDR ist ab etwa Mitte der 1970er Jahre neben der 110 und 112 über die 115 der zentral gesteuerte Rettungsdienst zu erreichen. Nach der Wende wird diese sogenannte Schnelle Medizinische Hilfe aufgelöst. Heute können Bürger und Bürgerinnen unter der 115 Fragen zu Behördenanliegen loswerden.

Bis in West-Deutschland die 110 und 112 nach dem Beschluss von 1973 tatsächlich überall verfügbar sind, dauert es noch einige Jahre. Nach Angaben der Björn-Steiger-Stiftung, die sich maßgeblich für die einheitlichen Notrufnummern einsetzte, wird das letzte Ortsnetz Ende 1979 damit ausgestattet.

Ute und Sigfried Steiger gründeten die Organisation 1969, nachdem ihr achtjähriger Sohn Björn wegen eines Verkehrsunfalls ums Leben gekommen war. Der Krankenwagen kam erst nach einer Stunde und das Kind starb auf dem Weg in die Klinik an einem Schock. Weil das Elternpaar danach feststellte, dass stundenlanges Warten auf Hilfe die Regel war, starteten sie ihr Engagement für eine bessere Notfallhilfe in Deutschland und forderten bei Politikerinnen und Politikern die bundesweiten Notrufnummern.

Tausende Anrufe jeden Tag

Mittlerweile gehen rund 41.000 Anrufe an einem durchschnittlichen Werktag bei Notrufzentralen in Deutschland ein, zeigen Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Bundesanstalt für Straßenwesen für die Jahre 2016 und 2017. Am Wochenende seien es etwa 10.000 Anrufe weniger. Demnach stuft das Leitstellenpersonal 52,5 Prozent des Einsatzaufkommens als Notfälle ein, der Rest entfällt in die Kategorie Krankentransport.

Problematisch sei, dass zu viele Menschen den Notruf auch in weniger gravierenden Situationen riefen, wie etwa bei Kopfschmerzen, sagt Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn Steiger Stiftung. "Das ist absolut kein Einsatzszenario für den Notarzt", betont er. Früher hätte die Bevölkerung eine hohe Hemmschwelle bei Notrufen gehabt, doch seit ungefähr 15 Jahren gebe es das umgekehrte Phänomen.

Wenn nicht gerade Lebensgefahr besteht und alle Arztpraxen geschlossen sind, sollten Betroffene dem Gesundheitsministerium zufolge statt der 112 den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 anrufen. Bei Bedarf kommen dann die Ärztinnen und Ärzte, die unter dieser Nummer erreicht werden, auch zu Betroffenen nach Hause.

Kein standardisierter Fragenkatalog

Steiger weist auf ein weiteres Problem hin: dass in Deutschland nicht einheitlich geregelt sei, was nach Eingang eines 112-Notrufs in der Zentrale passiere. Es gebe bundesweit keinen standardisierten Fragenkatalog. Hilfesuchende seien daher auf die Fähigkeiten der jeweiligen Mitarbeitenden angewiesen.

Der Stiftungspräsident fordert auch "eine viel höhere DigitalisierungDigitalisierung" im Rettungswesen, etwa um die Patienten zu steuern. Andere Länder seien dahingehend weiter. In Österreich etwa könne die Leitstelle beispielsweise Asthma-Erkrankten einen QR-Code schicken, um in der nächstgelegenen Apotheke das notwendige Medikament zu erhalten. Dadurch würden dann keine Rettungskräfte gebunden. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Ein Großteil der Forderungen der Stiftung wurden Anfang September von der entsprechenden Regierungskommission aufgegriffen. Sie schlägt einheitliche Vorgaben zur Organisation, zu den Leistungen und zur Bezahlung der Rettungsdienste vor. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verkündete, den Rettungsdienst reformieren zu wollen. "Jetzt ist es entscheidend, dass die empfohlenen Maßnahmen und Schritte auch konsequent und zeitnah in die Praxis umgesetzt werden", teilte Stiftungspräsident Steiger dazu mit. (dpa/rs)

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