Healthcare IT


E-Business im Arzneimittelhandel

Äskulap geht online

Apotheker und Pharma-Großhändler in Deutschland klagen derzeit reihenweise gegen Krankenkassen, die Verträge mit Online-Pillenhändlern schließen. Das Gesundheitsministerium aber möchte den Versand von Arzneimitteln so schnell wie möglich legalisieren. Für diesen Fall sind die traditionellen Marktführer schlecht gerüstet.

Wer beim Stuttgarter Pharma-Großhändler Gehe über das Internet Medikamente bestellen will, der bekommt Risiken und Nebenwirkungen gleich mitgeliefert - aber nicht die der Produkte, sondern die der elektronischen Bestellung. "Aus rechtlichen Gründen kann keine Auslieferung ihrer Bestellung erfolgen", heißt es auf der Gehe-Plattform pharmacy-point.de. Der Kunde kann Medikamente also online bestellen, abholen muss er sie allerdings in der Apotheke.

Das ist in Deutschland rechtlich nicht anders möglich. So bestätigte etwa das Oberlandesgericht Frankfurt im vergangenen Jahr das seit vier Jahren bestehende Versandhandelsverbot mit der Begründung, dass Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel gegen das Heilmittelwerbegesetz verstoße. Ende Mai berief sich auch das Bayerische Sozialministerium auf die Klauseln im Arzneimittelgesetz und verpflichtete den bayerischen Landesverband der Betriebskrankenkassen, den mit dem Online-Anbieter Doc Morris geschlossenen Vertrag aufzulösen und jegliche Werbung zu unterlassen. Die ist für Online-Apotheken allerdings überlebenswichtig, weshalb die Entscheidung einem Geschäftsverbot gleichkommt.

Gehe-CIO Lutz EberhardLutz Eberhard ahnt, dass die Freigabe des Online-Handels für Medikamente kaum aufzuhalten ist. Anfang 2003 wird der Europäische Gerichtshof klären, ob das deutsche Verbot mit dem EU-Recht im Einklang steht. Deshalb hat Gehe sich für die drohenden Umwälzungen im Pillenvertrieb gerüstet und eine eigene E-Commerce-Plattform entwickelt. Zudem kauft das Stuttgarter Unternehmen seit Jahren Apothekenketten im Ausland auf, um so seinen Marktanteil zu erhöhen. Profil von Lutz Eberhard im CIO-Netzwerk

Seit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kürzlich angekündigt hat, alles dafür zu tun, den Versandhandel in Deutschland und damit auch den Online-Handel von rezeptpflichtigen Medikamenten zu legalisieren, sind Pharma-Großhändler und Apotheker in Aufruhr. Denn bis zu acht Prozent des mehr als 20 Milliarden Euro starken Markts stünden auf dem Spiel. Nicht nur die Ministerin, auch die Krankenkassen, die sich Kosteneinsparungen versprechen, und die Europäische Union wollen die Liberalisierung.

Der Europäische Gerichtshof entschied bereits vor Jahren, dass EU-Bürger Medikamente aus jedem Land der EU beziehen können sollen. "Erst vor kurzem empfahl der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union in einer Stellungnahme, die Leistungsfähigkeit dieser Vertriebssysteme weiterzuentwickeln, um die Arzneiausgaben einzudämmen", erläutert André Leue, Analyst der Bank Sal. Oppenheim.

Der Bundesverband Deutscher Apothekerverbände ist schockiert. Pressesprecher Elmar Esser sieht eine große Gefahr darin, dass in Brüssel über deutsche Belange und letztlich auch über die nationale Arzneimittelsicherheit entschieden werde. "Was einmal an die EU gegeben wurde, kommt nicht mehr zurück", fürchtet er. Zudem finanzierten herkömmliche Apotheken ihre "niedrigpreisigen" Arzneimittel und auch Zusatzleistungen wie den jährlich 200 Millionen Euro teuren Nachtnotdienst über die erheblich höheren Margen bei den "hochpreisigen" Medikamenten. Wenn jetzt Online-Händler genau diese Medikamente billiger anböten, würde das gesamte Versorgungssystem auseinander brechen, befürchtet Esser. Mit der Unterschrifteninitiative "Pro Apotheke" versucht der Verband derzeit, die Verbraucher zu mobilisieren.

Zur Startseite