Reality Check

AI ist noch nicht reif für das Enterprise

Kommentar  18.01.2024


Martin De Saulles ist Schriftsteller und Autor und beschäftigt sich in erster Linie mit datengetriebenen Innovationen sowie dem Internet of Things. Er schreibt unter anderem für unsere US-Schwesterpublikation CIO.com.
KI hat das Potenzial, die Produktivität erheblich zu steigern. Doch bis zu einem breiten Einsatz im Unternehmen wird es länger dauern, als viele behaupten.
Der Hype um künstliche Intelligenz und Tools wie ChatGPT ist groß. Doch bis zu einem breiten Einsatz im Unternehmen könnten noch Jahrzehnte vergehen, argumentieren Kritiker.
Der Hype um künstliche Intelligenz und Tools wie ChatGPT ist groß. Doch bis zu einem breiten Einsatz im Unternehmen könnten noch Jahrzehnte vergehen, argumentieren Kritiker.
Foto: JLStock - shutterstock.com

Künstliche IntelligenzKünstliche Intelligenz (KI) wird viele Arbeitsabläufe automatisieren, da gibt sich die Strategieberatung McKinsey optimistisch. Allerdings geben die Berater zu bedenken, dass es noch mehrere Jahrzehnte dauern wird, bis dies in großem Umfang geschieht. CIOs und Top-Führungskräfte sollten diese Prognose inmitten des Hypes sowie der wilden Behauptungen vieler Anbieter und Experten im Hinterkopf behalten. Alles zu Künstliche Intelligenz auf CIO.de

Gleich mehrere Gründe sprechen dafür, dass ein sinnvoller Einsatz von KI im Unternehmen länger dauern wird, als viele glauben.

Komplexität der menschlichen Arbeit

Schätzungen zufolge trifft ein durchschnittlicher Mensch jede Stunde rund 2.000 Entscheidungen. Viele sind Routine und erfordern wenig Nachdenken, andere sind weitaus komplexer und differenzierter. Bei der Arbeit können Menschen mehrere Informationen in kürzester Zeit verarbeiten und dabei Sicherheitsaspekte, soziale Normen, die Bedürfnisse der Kollegen und des Arbeitgebers sowie Genauigkeit und strategische Ziele berücksichtigen. Gleichzeitig sind wir in der Lage, diese Entscheidungen mündlich, schriftlich und durch Gesten zu kommunizieren und dabei mehrere Systeme und Arbeitsabläufe zu bespielen.

Computertechnologien und ein verbesserter Zugang zu Daten mögen zwar dazu beigetragen haben, dass Unternehmen routinemäßige Entscheidungen besser treffen können. Aber alles, was komplexer ist, erfordert nach wie vor menschliche Eingaben und Kontrolle. Der Ruf eines Unternehmens steht und fällt mit den Entscheidungen, die getroffen werden. Ist der Ruf erst einmal ruiniert, ist es schwierig und oft unmöglich, ihn wiederherzustellen.

Zwar werden Chatbots viele Funktionen übernehmen, die derzeit von Menschen in Callcentern ausgeführt werden. Dennoch werden KI-Dialogsysteme vorerst nur innerhalb eng definierter Parameter arbeiten.

KI-Halluzinationen und ihre Auswirkungen

Das Problem der KI-Halluzinationen, bei denen ein großes Sprachmodell (LLM) authentisch aussehende, aber erfundene Ergebnisse präsentiert, sollte bei KI-Einsätzen in Unternehmen nicht unterschätzt werden. Schätzungen zufolge liegt die "Halluzinationsrate" bei ChatGPT zwischen 15 Prozent und 20 Prozent - ein inakzeptabler Wert, wenn es um geschäftskritische Entscheidungsfindung geht.

Halluzinationen lassen sich zwar in Unternehmensanwendungen durch ein Finetuning der LLMs reduzieren, indem diese etwa auf verifizierten privaten Daten trainiert werden. Weitere Verbesserungen können durch die Beschränkung von Abfragen auf bewährte Prompts sowie durch die Einbeziehung von Open-Source-Tools wie Langkit und Guardrails oder von proprietären Produkten wie Galileo erzielt werden. Diese Tools und Frameworks befinden sich aber noch im Anfangsstadium der Entwicklung; Anwender werden daher mit verschiedenen Ansätzen und Lösungen experimentieren müssen. Es wird deshalb noch einige Jahre dauern, bis erprobte und vertrauenswürdige Methoden allgemein verfügbar sind, mit denen sich Halluzinationen auf ein akzeptables Niveau zurückfahren lassen.

Gewohnheiten und etablierte Arbeitsabläufe

Während Technologien wie Smartphones und soziale Medien von den Verbrauchern recht schnell angenommen wurden, vollzieht sich der Einsatz im Unternehmen in der Regel viel langsamer. Etablierte Arbeitsabläufe, Benutzerschulungen und technologische Abhängigkeiten bremsen die Einführung neuer Hardware und Software. Cloud Computing, standardisierte Datenformate und APIs haben diese Hindernisse zwar bis zu einem gewissen Grad abgebaut, aber sie sind immer noch erheblich.

Eine Gartner-Umfrage hat kürzlich ergeben, dass 45 Prozent der Mitarbeiter im Kundenservice die Einführung neuer Technologien vermeiden und sich lieber auf Legacy-Systeme sowie etablierte Tools verlassen. Aaron Levie, Cloud-Computing-Pionier und CEO von Box, äußerte unlängst Zweifel daran, dass KI kurzfristig einen signifikanten Einfluss auf Initiativen zur digitalen Transformation haben wird.

Zukunft der Enterprise-AI

Der anfängliche Hype und die Begeisterung bezüglich generativer KI lassen allmählich nach, und es zeichnen sich realistischere Erwartungen ab. Der Traffic auf der ChatGPT-Website etwa ist im Juni gegenüber Mai um fast zehn Prozent zurückgegangen; die Nutzer verbrachten dort neun Prozent weniger Zeit.

Zudem schwant vielen Entscheidern inzwischen, dass die praktische Nutzung der neuen KI-Tools im Unternehmen erhebliche Anpassungen und Investitionen erfordert. Das liegt vor allem an der Komplexität und Subtilität vieler menschlicher Tätigkeiten, verbunden mit der Notwendigkeit, das Vertrauen der Kunden zu bewahren. Sich aus diesen Gründen jedoch nicht auf die KI-Reise zu begeben, wäre töricht, denn die potenziellen Vorteile sind beträchtlich.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation cio.com

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