BNP-Paribas-CIO Simone Bock

Arbeiten nach Menschenmaß

10.11.2022
Von Simone Bock
Im CIO-Jahrbuch 2023 wettet Simone Bock, CIO von BNP Paribas Personal Investors Germany, dass wir 2028 in der IT anders als heute arbeiten werden: Agile Methoden stoßen an ihre Grenzen, die Wissensarbeit wird noch mehr zunehmen. Mitarbeitende werden verstärkt Fokuszeit benötigen, um sich auf einzelne Themen zu konzentrieren.
"Menschen brauchen Fokuszeiten, in denen sie sich intensiv mit einzelnen Aufgaben auseinandersetzen können, ohne ständig abgelenkt zu werden", schreibt Simone Bock im CIO-Jahrbuch 2023.
"Menschen brauchen Fokuszeiten, in denen sie sich intensiv mit einzelnen Aufgaben auseinandersetzen können, ohne ständig abgelenkt zu werden", schreibt Simone Bock im CIO-Jahrbuch 2023.
Foto: BNP Paribas Personal Investors

Wir führen im Unternehmen agiles Arbeiten ein - und auf einen Schlag sind alle Probleme gelöst! Auf dieses Missverständnis stoße ich immer wieder. Sicher, agileagile Methoden können die Time-to-Market beschleunigen, Mitarbeitende "empowern" und Silos aufbrechen. Das Internet ist voll mit Beiträgen wie "12 agile Methoden, die jedes Team schneller machen". Doch wenn man sich zu sehr auf diesen Aspekt konzentriert und annimmt, dass die reine Einführung von weiteren Werkzeugen (Jira, Trello, Asana) oder Methoden (ScrumScrum, Kanban oder Feature Driven Development) die erwünschten Effekte erzielt, ist man auf dem Holzweg. Alles zu Agile auf CIO.de Alles zu Scrum auf CIO.de

In einer Welt, die zunehmend von Wissensarbeit geprägt sein wird, ist dies umso herausfordernder, die Belastungen für den Einzelnen steigen. Konzentrierte Arbeit ist kaum mehr möglich, da auf allen Kanälen Informationen und Anfragen hereinkommen, seit der Pandemie noch mal verstärkt über Collaboration-Tools wie Zoom, Miro oder Teams. Ständig piept es irgendwo oder ein neues Fenster poppt auf dem Bildschirm auf, ganz zu schweigen von E-Mails und Anrufen. Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind mit mehreren Aufgaben gleichzeitig beschäftigt. Doch Multitasking bringt viele Mitarbeitende an ihre Grenzen. Sie leiden unter dem Info-Overload, können sich nicht mehr fokussieren und fühlen sich überfordert.

CIO-Jahrbuch 2023
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Laut einer Studie der University of California ("The Cost of Interrupted Work") aus dem Jahr 2008 wurden Mitarbeitende schon damals alle elf Minuten unterbrochen. Danach brauchten sie im Durchschnitt 23 Minuten, um wieder in den "Flow" hineinzukommen. Konzentriertes Arbeiten ist demnach so gut wie gar nicht möglich. Nicht zufällig ist Cal Newports Buch "Deep Work" schon seit Jahren ein Bestseller. Viele suchen nach Methoden, der alltäglichen Oberflächlichkeit zu entkommen.

Denn das menschliche Gehirn ist evolutionär nicht darauf ausgelegt, vieles gleichzeitig zu erledigen. In den vergangenen Jahren gab es eine Fülle von Studien aus den Neurowissenschaften, die Aufschluss darüber geben, welche Methoden und welche Arbeitsorganisation dem menschlichen Gehirn und damit der menschlichen Natur am besten entsprechen. Eine Erkenntnis, über die weitgehende Einigkeit besteht: Multitasking schwächt das Gedächtnis.

So zeigten laut einer Studie der Stanford University aus dem Jahr 2020 junge Menschen, die häufig gleichzeitig mehrere Medien benutzen, eine deutlich schlechtere Gedächtnisleistung als diejenigen, die sich eher auf eine Tätigkeit beschränken. Neurowissenschaftler des University College London haben nachgewiesen, dass bei Menschen, die über längere Zeit gleichzeitig Dinge erledigen, die "graue" Hirnsubstanz schrumpft.

Wenn ich gefragt werde, wie die IT im Jahr 2028 aussehen wird, dann möchte ich einen Wunsch formulieren: Dass wir weniger auf technische Methoden schauen und dafür stärker neurowissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen. Und dass wir unsere Zusammenarbeit so organisieren, dass die einzelnen Mitarbeitenden mehr Raum für konzentriertes Arbeiten erhalten.

"Focus is Power"

Orientierung bietet das Konzept "Neuroleadership", das ursprünglich von David Rock und Jeffrey Schwartz entwickelt wurde. Einer ihrer Leitsätze: "Focus is Power". Die Konzentration auf eine mentale Erfahrung wie beispielsweise einen Gedanken, eine Idee oder ein inneres Bild, schafft neue Verbindungen innerhalb des Gehirns und hält dieses anschlussfähig.

Menschen brauchen Fokuszeiten, in denen sie sich intensiv mit einzelnen Aufgaben auseinandersetzen können, ohne ständig abgelenkt zu werden. Führungskräfte müssen darauf Rücksicht nehmen und ihren Mitarbeitenden solche Freiräume und einen sicheren Rahmen ermöglichen. Auch der Chef oder die Chefin muss diese Zeiten respektieren und darf die Mitarbeitenden währenddessen nicht stören. Und viele Kolleginnen und Kollegen müssen wieder neu lernen, sich über längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren.

Wertschätzung und Respekt

Orientierung bietet das von David Rock entwickelte SCARF-Modell (Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness). Kurz zusammengefasst: Mitarbeitende müssen sich im Team und durch ihre Führungskraft geschätzt, respektiert und sicher fühlen. Sie sollen die Erfahrung machen, in ihrer Arbeit autonom und ohne Fremdbestimmung agieren zu können. Gleichzeitig wirken die Verbundenheit im Team und der Eindruck, fair und gerecht behandelt zu werden, stabilisierend auf jedes Individuum. So entsteht ein sicherer Raum, der konzentriertes Arbeiten ermöglicht.

Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Für ITler (und andere Geschäftsbereiche) wird 2028 Fokuszeit der Faktor sein, um wertstiftendende Ergebnisse zu erzielen und damit entscheidend zum Erfolg von Unternehmen zu beizutragen - mit oder ohne agile Methoden.

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Simone BockSimone Bock, CIO von BNP Paribas Personal Investors Germany wettet im CIO-Jahrbuch, dass wir 2028 in der IT anders als heute arbeiten werden. Agile Methoden stoßen an ihre Grenzen, die Wissensarbeit wird noch mehr zunehmen. Mitarbeitende werden verstärkt Fokuszeit benötigen, um sich auf einzelne Themen zu konzentrieren. Das erfordert auch einen Change im Führungsverständnis. Profil von Simone Bock im CIO-Netzwerk

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