Fliegen statt Fahren

Elektroautos sind nicht die beste Lösung

Kommentar  04.08.2017


Kurt Brand ist Experte für Strategisches IT-Management mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung in internationalen High-Tech-Unternehmen. Seine fachlichen Schwerpunkte als Berater und Interim CDO/CIO/CTO umfassen das Management von IT-Strategie/Architektur/Innovation, die Reorganisation bzw. Restrukturierung von IT-Organisationen und IT-Prozessen sowie den wirksamen Schutz von geistigem Eigentum und personenbezogenen Daten gegen Datenverlust/-diebstahl (inklusive Cyber Security). Darüber hinaus bietet er professionelles Coaching, Training und Team Building für IT-Fachleute, unabhängige Gutachten und Assessments sowie Keynote Speeches an.
Tesla, Uber & Co. sind mit ihren elektrisch betriebenen, autonom fahrenden Pkws bzw. Shared Economy-Konzepten in aller Munde. Doch geben die Technologien und Konzepte Antworten auf die Probleme des Individualverkehrs im 21. Jahrhundert?

Am 20. Juni 2017 veröffentlichte das Wall Street Journal einen ausführlichen Artikel unter der Überschrift "The end of car ownership - Ride-sharing and self-driving will redefine our relationship with cars" und am 28. Juli 2017 erreichte der Hype um Tesla mit der Aushändigung der ersten 30 Fahrzeuge des "Model 3" einen neuen Höhepunkt. Tesla wurde 2004 gegründet und hat zwischenzeitlich mit 55 Milliarden Dollar eine höhere Marktkapitalisierung erreicht als die Ford Motor Company - ein über hundert Jahre altes Unternehmen mit einem Umsatz von rund 142 Milliarden Dollar (Stand: 2016). Ähnliches gilt für Uber, dessen Marktkapitalisierung auf über 70 Milliarden Dollar geschätzt wird.

Die Zukunft der künftigen Verkehrsmittel wird schon heute entschieden.
Die Zukunft der künftigen Verkehrsmittel wird schon heute entschieden.
Foto: RM Studio - shutterstock.com

Die Erwartungen an Tesla, Uber & Co. sind also gewaltig und speisen sich aus der Hoffnung, dass diese innovativen Unternehmen aus dem Silicon Valley das Potential haben, disruptive Veränderungen in der Automobilbranche mit ihren billionenschweren Umsätzen herbeizuführen - ähnlich wie das Apple vor 10 Jahren mit dem iPhone in der Mobilkommunikations- und Multimediabranche gelang.

Die Zukunft des Individualverkehrs

Nun ist das Konzept des Individualverkehrs auf Basis von Verbrennungsmotoren über 150 Jahre alt und die Erfolgsgeschichte des konventionellen Automobils mit inzwischen ca. 1,1 Milliarden Personenkraftwagen und ca. 380 Millionen Lastkraftwagen auf unserem Planeten hat zweifellos zu gravierenden Problemen geführt, wie z. B. Umweltbelastung, Gesundheitsgefährdung oder Verkehrsinfarkte, vor allem in den internationalen Millionenmetropolen. Gründe genug also, um darüber nachzudenken, wie der Individualverkehr in Zukunft gestaltet werden soll bzw. muss.

Elektrische Antriebe haben sich in den vergangenen Jahren zweifellos zu derjenigen Technologie entwickelt, der allgemein das größte Zukunftspotenzial im Bereich des Individualverkehrs zugetraut wird. Wenn es gelingt, die Energie für die Fertigung und den Betrieb von Elektroautos ausschließlich aus regenerativen Energiequellen zu gewinnen und wenn darüber hinaus eine praktikable und anforderungsgerechte Infrastruktur zur Verteilung der Energie von der Energiequelle bis zum Endverbraucher aufgebaut werden kann, sind Elektroautos tatsächlich in der Lage, zumindest die Umweltbelastung und Gesundheitsgefährdung durch den Individualverkehr zu entschärfen. In diesem Satz stecken allerdings schon zwei "Wenn", die nicht ganz einfach zu lösen sind.

Darüber hinaus liefern Elektroautos - mit Ausnahme der graduellen Optimierung von Verkehrsflüssen durch Autonomes Fahren - überhaupt keine Antwort auf das Problem des Verkehrsinfarktes, der maßgeblich durch den Individualverkehr und die begrenzte Verkehrsinfrastruktur bei wachsenden Bevölkerungszahlen verursacht wird. Bislang versuchen Politiker auf der ganzen Welt, das Problem des Verkehrsinfarktes in den Griff zu bekommen, indem sie z. B. Fahrverbote für Kraftfahrzeuge in den Innenstädten verhängen oder die Nutzung von Kraftfahrzeugen in den Innenstädten so unattraktiv wie möglich machen und stattdessen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmitteln propagieren.

Der Erfolg dieser Maßnahmen hält sich jedoch stark in Grenzen: In Deutschland haben öffentliche Verkehrsmittel einen Marktanteil von weniger als zehn Prozent am Gesamtverkehr, obwohl das Leistungsangebot im Großen und Ganzen nicht schlecht ist und obwohl umweltschädliches Verhalten mittlerweile gesellschaftlich geächtet wird.

Da die Umstellung des Individualverkehrs von konventionellen Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe mit gravierenden Veränderungen einhergeht, für die wertvolle Ressourcen in erheblichem Umfang verbraucht werden, muss die Frage erlaubt sein, ob Elektroautos im 21. Jahrhundert noch die richtige Antwort auf die drängenden Probleme unserer Zeit sind oder ob wir mit diesem Konzept nicht zu kurz springen bzw. uns sogar in eine technologische Sackgasse manövrieren.

Elektroautos - eine technologische Sackgasse?

In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst einige Daten und Fakten betrachten. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Bevölkerungszahl auf der Erde von 7,6 Milliarden Menschen in 2015 auf 9,8 Milliarden Menschen in 2050 anwachsen wird - das ist ein Wachstum von beachtlichen 30 Prozent innerhalb von 35 Jahren (UN Total Population Report). Die Vereinten Nationen gehen ferner davon aus, dass 1,3 Milliarden Menschen in 2050 in "höher entwickelten Regionen" leben werden und 8,5 Milliarden Menschen in "weniger entwickelten Regionen".

Im Hinblick auf die Entwicklung des Individualverkehrs hat das World Economic Forum (WEF) in 2016 eine Prognose auf Basis von Daten von Bernstein Research veröffentlicht, nach der sich die Anzahl der Kraftfahrzeuge zwischen 2015 und 2040 verdoppelt wird. Interpoliert man die WEF-Prognose auf das Jahr 2050, dann wird die Zahl der Personenkraftwagen von 1,1 Milliarden in 2015 auf 2,35 Milliarden in 2050 steigen und die Zahl der Lastkraftwagen von 380 Millionen in 2015 auf 950 Millionen in 2050. D. h. in 2050 werden 9,8 Milliarden Menschen ca. 3,3 Milliarden Kraftfahrzeuge auf unserem Planeten bewegen - das ist eine Abdeckung von ca. 33,7 Prozent und ein Wachstum der Anzahl an Kraftfahrzeugen um beachtliche 123 Prozent innerhalb von 35 Jahren.

Deutschland ist nicht nur berühmt für seine Automobilindustrie, sondern auch für den Umfang und die Zuverlässigkeit seiner Statistiken. Die folgende Tabelle ist ein Auszug aus einer Statistik des Kraftfahrtbundesamtes. Sie dokumentiert, dass sich die Anzahl der Kraftfahrzeuge in Deutschland in den vergangenen 57 Jahren um rund 600 Prozent erhöht hat - von ca. 8,0 Millionen in 1960 auf ca. 55,6 Millionen in 2017. Ungefähr 90 Prozent dieser Kraftfahrzeuge sind heutzutage Personenkraftwagen bzw. Motorräder (in 1960 war dieser Anteil mit ca. 80 Prozent etwas geringer). Mit wachsendem Wohlstand wuchs also in den vergangenen Jahrzehnten der Bedarf der Deutschen nach individuellen Mobilitätslösungen dramatisch.

Auszug aus Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zur Entwicklung der Anzahl der Kraftfahrzeuge in Deutschland von 1960 bis 2017
Auszug aus Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zur Entwicklung der Anzahl der Kraftfahrzeuge in Deutschland von 1960 bis 2017
Foto: Kraftfahrtbundesamt

Was kann man aus dieser Entwicklung lernen? Nach einem Bonmot, das wahlweise Karl Valentin, Mark Twain, Winston Churchill, Niels Bohr oder Kurt Tucholsky zugeschrieben wird, sind Prognosen schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Ungeachtet dessen möchte ich an dieser Stelle aus den vorgenannten Daten und Fakten die Prognose ableiten, dass das Wachstum von Bevölkerung und Wohlstand in den Ländern der Dritten Welt zu einer ähnlichen Entwicklung im Hinblick auf den Individualverkehr in diesen Ländern führen wird, wie das in Deutschland oder anderen Industriestaaten in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.

Für die "Generation Y" und die "Millenials" mögen Smartphones im Teenageralter noch die wichtigsten Statussymbole sein, spätestens mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter werden auch diese Generationen den Besitz eines eigenen Autos anstreben und diesen Wunsch verwirklichen, sobald sie es sich leisten können.

Als Vater von drei "Millenials" teile ich ferner die optimistischen Einschätzungen nicht, dass die heranwachsenden Generationen auf unserem Planeten über ein deutlich ausgeprägteres Umweltbewusstsein verfügen werden, als ihre Eltern und Großeltern.

Obwohl umweltfreundliches Verhalten durch Kampagnen seitens der Umweltverbände und politischen Parteien in den Medien massiv beworben wird, sind die Marktanteile von CarSharing- und Mietwagenfirmen nach wie vor sehr gering: In Deutschland haben CarSharing-Firmen, wie Flinkster, Drive Now oder Car2Go, einen Marktanteil von weniger als ein Prozent (Umweltbundesamt-Artikel vom 06.07.2017); der weltweite Marktanteil von Mietwagenfirmen wie Avis, Budget oder Sixt liegt bei gerade mal drei bis vier Prozent des Umsatzes der globalen Automobilindustrie (Tagesschau-Bericht vom 18.08.2016).

All dies führt unweigerlich zu der Schlussfolgerung, dass Elektroautos, Autonomes Fahren und Shared Economy-Konzepte nicht die richtigen Antworten auf die drängenden Probleme des Individualverkehrs im 21. Jahrhundert sind. Sie lösen nur einen Teil der drängenden Probleme, haben nicht die notwendige Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung (Shared Economy), ihre Entwicklung verbraucht wertvolle Ressourcen und führt uns letztlich in eine Sackgasse. Was aber könnte die bessere Antwort sein?

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