Strategien


Neues Preissystem bei der Deutschen Bahn

Big Bang in Lummerland

Johannes Klostermeier ist freier Journalist aus Berlin. Zu seinen Spezialgebieten zählen unter anderem die Bereiche Public IT, Telekommunikation und Social Media.
Die Deutsche Bahn wird Mitte Dezember das ehrgeizigste IT-Projekt ihrer Geschichte abschließen. Mit dem "Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr", kurz PEP, wird das alte Tarifsystem von 1835 abgelöst. Ab sofort machen die Kunden die Preise selbst, so der Werbeslogan der Bahn.

Ab 15. Dezember müssen Bahnkunden in Deutschland umdenken. Denn dann schafft die Bahn das seit 167 Jahren geltende Prinzip der festen Kilometerpreise ab. Die Kernpunkte der Preisreform: Wer früh bucht, fährt günstiger, Spontanfahrer zahlen den vollen Preis. Jede der 20 Millionen Fernverkehrsverbindungen kostet in Zukunft eine andere, nach komplizierten Regeln festgelegte Summe. Damit will die Bahn die Nachfrage auf stark befahrenen Strecken steuern. Das Preis- und Erlösmanagement (PEP) orientiert sich am System der Fluggesellschaften. Dort wird seit jeher per Yield-Management der Ertrag durch Preisdifferenzierung maximiert.

Für die IT-Experten der Bahn ist die Umstellung eine gewaltige Aufgabe, deren Lösung sie bereits mehrmals verschieben mussten. Denn heute werden nur einige tausend Sitzplätze mit Verfügbarkeitsabfrage im Zentralcomputer reserviert; ab Mitte Dezember muss die Bahn jede Verbindung einzeln einbuchen, in Echtzeit mit den zur Verfügung stehenden Kontingenten vergleichen und an die 20000 angeschlossenen Endgeräte liefern. Ticketerstellung und Fahrplan existierten bislang unabhängig voneinander; bei der neuen Preisstruktur mit "Zugbindung" sind beide untrennbar miteinander und mit dem neuen Erlösmanagement verknüpft.

Christoph Franz und Hans-Gustav Koch verantworten das neue Preissystem. Der Vorstand Personenverkehr und der Bereichsvorstand Marketing/Vertrieb müssen sicherstellen, dass die IT-Systeme zum Start einwandfrei laufen. Der Druck ist groß, eine Panne kann sich das Staatsunternehmen nicht erlauben. "Die größte Herausforderung wird sein, unsere Mitarbeiter fit für die neue Software zu machen", sagt Franz, der 1994 von der Lufthansa zur Bahn wechselte. Dass der Vorverkauf am 1. November begonnen wurde, ist kein Zufall: Am Feiertag Allerheiligen herrscht weniger Andrang. "Die Systeme können langsam hochgefahren werden", so Wolfgang Schambach vom Reisebüro-Bahn-Beirat. Mitte Dezember, wenn PEP seine Feuerprobe bestehen muss, ist die Last ebenfalls relativ gering, weil es in dieser Zeit nur noch wenige Geschäftsreisende gibt.

Zugauslastung bestimmt Fahrpreise

Die IT-Umsetzung hat eine Projektgruppe der Bahn-Tocher DB Systems, hervorgegangen aus TLC (Transport-, Informatik- und Logistik-Consulting) und DB Informatik-Dienste (IDG) mithilfe von Beratern von T-Systems geleistet. 500 Mitarbeiter waren in der Spitze mit der Neuentwicklung beschäftigt: 150 kamen vom Fachbereich Personenverkehr, 200 von DB Systems; der Rest stammte von T-Systems sowie aus kleineren Firmen. "Die Kosten belaufen sich auf rund 200 Millionen Euro inklusive Marketing- und Werbeausgaben", verrät DB-Systems-Projektleiter Christian Kalus. Mindestens drei Prozent oder 100 Millionen Euro im Jahr wolle das Unternehmen durch die Umstellung mehr einnehmen, erklärt Koch.

Die Bahn knüpft bei der Realisierung des komplexen Systems, das den Fahrpreis von der Zugauslastung abhängig macht, an die betagte, in der Ursprungsversion 1988 in Betrieb genommene Vertriebssystemplattform Kurs 90 an. "Verglichen mit anderen Reservierungssystemen ist Kurs 90 eigentlich noch ein Teenie", meint Kalus, der zugleich von "einer Produktionsstabilität von mehr als 99 Prozent" schwärmt.

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