Cloud Computing


IT-Infrastruktur

Die Cloud-Strategie der Deutschen Bahn

07.05.2019
Die Deutsche Bahn entschied 2016, ihre IT-Infrastruktur möglichst komplett in die Public Cloud zu verlagern. Hybride Graubereiche gibt es nicht.
  • Der Betrieb einer eigenen IT-Infrastruktur gehört nicht mehr zu den Kernaufgaben. Die Eigenfertigung soll deshalb komplett entfallen.
  • Die Integration der Providerleistungen in die Systeme und Prozesse der Bahn sowie der operative Betrieb und das Management der rund 650 IT-Anwendungen behält DB Systel selbst in der Hand.
  • Den 700 Infrastrukturexperten bietet die Deutsche Bahn ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm an.
  • Die Bahn fährt keine Multi-Provider-Strategie, sondern setzt auf Cloud-Lösungen von Amazon Web Services (AWS) und Microsoft Azure.

Die DB Navigator-App ist mittlerweile Kundenschnittstelle Nummer eins bei der Deutschen Bahn. In Deutschland ist sie heute die beliebteste Mobilitäts-App gleich nach Google Maps und seit Jahren der Treiber innerhalb des stark wachsenden digitalen Ticketvertriebs bei der Bahn. Über den DB Navigator setzte die Bahn 2018 rund 75 Prozent mehr Fahrscheine ab als im Jahr zuvor.

"Wir kommen schneller voran, als ursprünglich gedacht. Innerhalb von gut zwei Jahren konnten wir bereits 40 bis 45 Prozent unserer Infrastruktur überführen. Unser Ziel ist, das Migrationsprojekt zwei Jahre früher abzuschließen als geplant", sagt Robert Arnhold, Head of Corporate Strategic Programs bei DB Systel.
"Wir kommen schneller voran, als ursprünglich gedacht. Innerhalb von gut zwei Jahren konnten wir bereits 40 bis 45 Prozent unserer Infrastruktur überführen. Unser Ziel ist, das Migrationsprojekt zwei Jahre früher abzuschließen als geplant", sagt Robert Arnhold, Head of Corporate Strategic Programs bei DB Systel.
Foto: DB Systel GmbH

"Die digitalen Vertriebskanäle werden kontinuierlich ausgebaut und weiterentwickelt. Die Geschwindigkeit hat sich hierbei deutlich erhöht", sagt Robert Arnhold, der als Head of Corporate Strategic Programs bei der DB Systel, dem IT-Dienstleister der Deutschen Bahn, auch die Umsetzung der Cloud-Strategie im Konzern verantwortet. Vor diesem Hintergrund führe an der CloudCloud kein Weg mehr vorbei, so Arnhold. Nicht nur die Nutzung der App wachse stetig, sondern auch der Inhalt und damit die Zahl der Daten und Schnittstellen. Alles zu Cloud Computing auf CIO.de

Ein Beispiel: Neben FernverkehrsticketsFernverkehrstickets bietet der DB Navigator auch immer mehr Nahverkehrstickets und -informationen an, etwa Verbindungsauskünfte und U-Bahn-Fahrscheine. "Ohne die Cloud als technische Integrationsplattform hätten wir all die beteiligten Geschäftsfelder der DB, privaten Bahngesellschaften und Verkehrsverbünde nie so schnell unter einen Hut bekommen", so Arnhold. Top-Firmen der Branche Transport

"Die gestiegenen Anforderungen, etwa in Bezug auf Flexibilität und Time-To-Market, sind nur noch über die Cloud realisierbar - von digitalen Feldern wie Internet der Dinge oder Künstliche Intelligenz ganz zu schweigen."

Cloud ist kein IT-Thema

Die Cloud-Strategie der Deutschen Bahn ist deshalb auch kein singuläres IT-Thema, sondern eine geschäftsfeldübergreifende Entscheidung des Konzernvorstands, die vorsieht, die gesamte bislang intern betriebene IT-Infrastruktur mit DB Systel innerhalb von sechs Jahren in die Cloud zu verlagern. Das Ziel ist letztlich, neuen Kundennutzen zu schaffen. Zudem soll die Produktentwicklung schneller und flexibler, die Integration bestehender IT-Anwendungen mit anderen Services einfacher und die Kosten reduziert werden.

So kauften Reisende 2018 digitale Tickets bei der Deutschen Bahn.
So kauften Reisende 2018 digitale Tickets bei der Deutschen Bahn.
Foto: Deutsche Bahn AG

Das Betreiben eigener IT-Infrastruktur bildet laut Arnhold definitiv nicht mehr den Kern eines IT-Dienstleisters im DB-Konzern und soll deshalb als Eigenfertigung komplett entfallen. Mit der Maßgabe, die IT-Infrastruktur soweit möglich in einer Public Cloud zu betreiben, unterscheidet sich die Deutsche BahnDeutsche Bahn von den allermeisten deutschen Großunternehmen. Somit wird IT-Infrastruktur künftig größtenteils von Cloud-Providern bezogen. Die Kontrolle geht dabei nicht verloren. Denn die Integration der Providerleistungen in die Systeme und Prozesse der DB sowie der operative Betrieb und das Management der rund 650 IT-Anwendungen behält das Unternehmen selbst in der Hand. Top-500-Firmenprofil für Deutsche Bahn

Cloud-Migration kommt schneller voran als geplant

Im Januar 2017 startete das erste Migrationsprojekt in Richtung Cloud und heute, gut zwei Jahre später, zieht Robert Arnhold ein erstes Fazit: "Wir kommen schneller voran, als ursprünglich gedacht. Innerhalb von gut zwei Jahren konnten wir bereits 40 bis 45 Prozent unserer Infrastruktur überführen. Unser Ziel ist, das Migrationsprojekt zwei Jahre früher abzuschließen als geplant, also bereits im kommenden Jahr." Auch die erhofften Effekte mit Blick auf Geschwindigkeitszuwachs, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit haben sich eingestellt. Die Kosten der Migration liegen im gesetzten Rahmen.

Programmchef Arnhold führt diese guten Zahlen auf den kompletten Wechsel des Produktionsmodells ganz ohne hybride Graubereiche zurück. "Je klarer die Strategie und die damit verbundenen Migrationspfade, umso einfacher die Umsetzung", ist Arnhold überzeugt. "Zudem hat unsere Cloud-Strategie die Unterstützung des Konzernvorstands und ist eben nicht nur IT-getrieben."

Ein zweiter wichtiger Punkt sei, dass die Cloud-Strategie durchgängig Public Cloud-Lösungen vorsieht. "Wir haben diesbezüglich viele Gespräche geführt, etwa über den Datenschutz und mit Regierungsbehörden." Es sei wichtig, sich mit den zuständigen Gremien im Vorfeld intensiv abzustimmen. Auf diese Weise seien die grundsätzlichen Fragen zu den Sicherheitsbelangen bei der heutigen Umsetzung abgehakt.

Sperrige Mainframe-Systeme

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die DB klar auf die Cloud setzt. Viele der alten Bestandssysteme halten die Projektverantwortlichen mehr in Atem als geplant. Vor allem in diesem Jahr muss sich die Bahn mit ihren Legacy-Systemen wie Mainframe oder HP-NonStop beschäftigen, sprich klassischen, zentralen, vielfach unternehmenskritischen Rechner- und Server-Einheiten.

Diese einfach weiter im Eigenbetrieb zu belassen, stellt keine Alternative dar, da es sich bei ihnen fast nie um Insellösungen handelt, sondern um Systeme mit Schnittstellen zu zahlreichen anderen Applikationen. Könnte Robert Arnhold die Zeit zurückdrehen, würde er dem Thema "Legacy" deshalb vor Projektbeginn mehr Analyse- und Vorbereitungszeit einräumen - vor allem, um das Kernproblem der Latenzzeiten im Zusammenspiel mit der Cloud gezielt zu adressieren.

Doch was passiert mit den rund 700 Mitarbeitern, die die bisherige IT-Infrastruktur der Bahn am Laufen hielten? Denn diese Mitarbeiter sind nun nicht mehr für einzelne Spezialaufgaben wie Storage oder Serverbetrieb verantwortlich, sondern für alles, was für den Applikationsbetrieb innerhalb der Infrastruktur des Cloud-Providers notwendig ist. Dazu gehören heute auch Themen wie Automatisierung, Sicherheitsaspekte wie Firewalls oder Security-by-Design-Vorgaben seitens der Governance.

Vom Server- zum KI-Spezialisten

Über ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm bietet die Deutsche Bahn den bisherigen Infrastrukturexperten an, in die neuen Betätigungsfelder im Konzern hineinzuwachsen. Beispiel Internet of ThingsInternet of Things (IoT): Hier hat die DB etwa damit begonnen, Lokomotiven, Weichen, Fahrtreppen oder Uhren in Bahnhöfen mit Sensoren zu versehen, um Fahrzeuge und Anlagen vorausschauend instand halten zu können. Und mit Blick auf Künstliche Intelligenz ergänzt das Unternehmen derzeit seinen Kundenservice, etwa über Chatbots. Alles zu Internet of Things auf CIO.de

"An den Anfang aller Aktivitäten haben wir den Verkauf des Rechenzentrums gesetzt. Das war ein deutliches Signal, dass wir die Migration ernst meinen, bedeutete aber auch, dass praktisch alle Mitarbeiter in der IT-Infrastruktur betroffen sind", erinnert sich Robert Arnhold. "Natürlich werden nicht alle Mitarbeiter KI-Entwickler. Doch die Einsatzfelder im Bereich der DigitalisierungDigitalisierung sind bei der DB so vielfältig, dass die Angebote in der Regel gern angenommen werden." So habe die DB allein im vergangenen Jahr 400 Mitarbeiter in neuen Technologien ausgebildet. "Vor allem: Nach gut zwei Jahren arbeiten bereits mehr als 30 Teams mit mehr als 350 Beschäftigten im Cloud-Betrieb." Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Neues Vergabeverfahren

Bei der Auswahl der Partner stand für die Bahn-Verantwortlichen von vornherein fest, dass sie sich nicht von einem Anbieter abhängig machen wollten. Der Konzern fährt jedoch keine Multi-Provider-Strategie, sondern selektiert sorgfältig, damit er aus mindestens zwei Portfolios wählen kann, die im Wettbewerb zueinanderstehen.

Beim Auswahl- und Vergabeverfahren, das im Mai 2018 abgeschlossen wurde, folgte die Deutsche Bahn erstmals einem neuen Vorgehen des Technologieberatungs- und Marktforschungsunternehmens ISG Information Services Group. Es stellte vor allem sicher, dass die (EU-)rechtlichen Anforderungen erfüllt und die eingereichten Angebote miteinander vergleichbar waren sowie die Spezifika der einzelnen Provider zugleich zum Tragen kamen.

Amazon Web Services und Microsoft Azure im Einsatz

Mit derzeit zwei Anbietern - Amazon Web Services (AWS) und Microsoft Azure - ist der Integrationsaufwand mit Blick auf etwa die netz- und produktionstechnische Anbindung zudem nicht so groß. "Man darf auch nicht vergessen: Bei unserem Start vor gut zwei Jahren gab es in Deutschland kaum Anbieter, die in der deutschen Wirtschaft und den speziellen rechtlichen Bedingungen des EU-Raums über große Erfahrung verfügten", betont Robert Arnhold. "Anders als in den USA fahren bisher nur sehr wenige deutsche Großunternehmen eine derart konsequente Cloud-Strategie." Die IT wird dabei Teil der Produktentwicklung und zum Vermittler von IoT- und KI-Lösungen, mit denen die Geschäftsbereiche das Kundenerlebnis verbessern.

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