Roundtable Predictive Analytics

Viele Daten, aber noch kein Plan

Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Den Nutzen von Predictive Analytics muss den Anwenderfirmen keiner mehr erklären. Allein es hapert an der Umsetzung. Technische Aspekte, unklare Daten-Ownership und manchmal auch nur das Bauchgefühl – sieben Branchenkenner diskutierten an einem Roundtable der COMPUTERWOCHE über die Gründe.

Data Lakes, in denen Informationen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, wenn man nicht aufpasst, CIOs im Konkurrenzkampf mit dem Digitalisierungschef und mittendrin verlorene Data Scientists: Predictive Analytics nimmt zwar allmählich Fahrt auf in den Unternehmen, doch der Weg zu auf Datenanalysen beruhenden Vorhersagemodellen ist weit und voller Stolpersteine.

Wie weit deutsche Unternehmen in Sachen Predictive Analytics heute sind, diskutierten Ende Januar in der Redaktion der COMPUTERWOCHE Jan-Henrik Fischer (Seven Principles), Arne Kaldhusdal (Alexander Thamm GmbH), Benjamin Krebs (Dell EMC), Hardy Kremer (Deloitte), Vladislav Malicevic (Jedox), Lars Schwabe (Lufthansa Industry Solutions) und Gregor Stöckler (Datavard). Die Experten kamen dabei zu folgenden Schlüssen:

Diskutierten über den Stellenwert und die Zukunft von Predictive Analytics (v.l.n.r.): Lars Schwabe (Lufthansa Industrie Solutions), Jan-Henrik Fischer (Seven Principles), Arne Kaldhusdal (Alexander Thamm Data Science Services), Gregor Stöckler (Datavard), Benjamin Krebs (Dell EMC), Hardy Kremer (Deloitte Deutschland), Vladislav Malicevic (Jedox) und Martin Bayer (Computerwoche).
Diskutierten über den Stellenwert und die Zukunft von Predictive Analytics (v.l.n.r.): Lars Schwabe (Lufthansa Industrie Solutions), Jan-Henrik Fischer (Seven Principles), Arne Kaldhusdal (Alexander Thamm Data Science Services), Gregor Stöckler (Datavard), Benjamin Krebs (Dell EMC), Hardy Kremer (Deloitte Deutschland), Vladislav Malicevic (Jedox) und Martin Bayer (Computerwoche).
Foto: Michaela Hendrek-Rehle

1. Der Wille zur Nutzung von Predictive Analytics ist da, doch die Umsetzung scheitert an verschiedensten Faktoren: Auf einer Skala von Eins (für "wenig bereit") bis zehn ("sehr bereit") geben die Experten deutschen Unternehmen zwei unterschiedliche Werte. In Sachen Aufmerksamkeit/Bewusstsein für Predictive Analytics erreichen Anwender oft eine neun oder zehn - bei der Umsetzung liegen die Werte jedoch deutlich niedriger und schwanken zwischen zwei und fünf.

So sammeln zwar viele Entscheider Daten und legen Data Lakes an. Doch dann fehlt oft ein greifbares Ziel oder ein konkreter Plan dafür, wie mit diesen Daten gearbeitet werden soll. So manch ein Manager ist froh, wenn er das Thema mit dem Auftrag - "Hier sind meine Daten, machen Sie was damit" - an einen Data Scientisten weiter delegieren kann. Das vielfach keine zielgerichtete Strategie dahintersteckt, zeigt auch die beobachtung, dass Sachbearbeiter meist weder motiviert noch incentiviert werden, Daten zu pflegen. Einen weiteren Schwachpunkt bildet oft die Technik: In vielen Firmen kaufen die Fachabteilungen IT-Systeme ein. "Best-of-Breed regiert", wie einer der Diskussionsteilnehmer sagt. Aber 20 bis 30 Systeme zu orchestrieren, das ist "richtig viel Arbeit".

Zum Thema Predictive Analytics führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager das Thema Predictive Analytics in ihren Unternehmen angehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Jessica Schmitz-Nellen (jschmitz-nellen@idg.de, Telefon: 089 36086 745) gerne weiter. Informationen zur Predictive-Analytics-Studie finden Sie auch hier zum Download.

2. Analytics in fünf Schritten: Analytics ist eine Reise. Mit den neuen technischen Möglichkeiten gibt es auch neue Optionen für das Business. Die Experten sprechen von verschiedenen Phasen beziehungsweise Stufen, in denen sich Analytics im Unternehmen weiterentwickelt. Da war zunächst das traditionelle Monitoring and ReportingReporting. Predictive Analytics stellt erst Schritt zwei dar. Im dritten Schritt geht es um die Frage, was Entscheider mit den Daten anfangen können. In Schritt vier schält sich dann heraus, wie mit den Daten konkret Geld verdient werden kann und mit dem fünften Schritt wird das datengetriebene Unternehmen erreicht. Alles zu Reporting auf CIO.de

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3. Data Ownership oft ungeklärt, auch innerhalb der Unternehmen: Analytics ohne Daten funktioniert nicht. Doch damit fangen die Fragen erst an. Wem gehören eigentlich die Daten, mit denen man künftig immer ausgefeiltere Predictive-Analytics-Lösungen füttern wird? Um diese Frage kreist zum Beispiel die Diskussion rund um Connected Cars. Hier streiten sich nicht nur die verschiedenen Player des Ecosystems, sondern auch die Verbraucherschützer reden mit. Ein anderes Beispiel: Wer auf dem Feld regenerativer Energien Maschinen besitzt und von Dritten betreiben lässt, wird zu Kasse gebeten, wenn er die Daten dieser seiner eigenen Maschinen nutzen will.

Innerhalb der Unternehmen stellt sich das oft ganz ähnlich dar: Einzelne Abteilungen, die auf 'ihren' Daten sitzen und diese nicht herausrücken wollen, bremsen den Einsatz von Predictive Analytics. Oder die Tochterfirma untersagt dem Mutterkonzern die Nutzung von Daten.

4. Konflikte zwischen CIO und Chief Digital Officer (CDO): Idealiter kooperieren Chief Information Officer (CIO) und Chief Digital Officer (CDO) - auch in Sachen Analytics. Doch die Realität sieht häufig anders aus. So mancher in der Runde kennt Fälle, in denen der CIO den Digitalisierungschef ausbremst. Indem er zum Beispiel benötige Daten nicht bereitstellt oder Service Level Agreements (SLAs) vorschiebt. Ein weiterer Hemmschuh aus Sicht der Experten: Viele CIOs seien schlicht und einfach überfordert, weil ihre Abteilungen zu mehr als 90 Prozent mit dem Betrieb der Legacy-Systeme ausgelastet sind.

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Dabei stellten die Diskussionsteilnehmer grundsätzlich auch die Rolle eines CDO in Frage. "Man hat früher ja auch keinen 'Chief Dampfmaschinen Officer' eingestellt" - dieses Zitat sorgt für zustimmendes Gelächter. Die Dampfmaschine war Chefsache. Ebenso muss die Digitalisierung Chefsache sein.

5. Ein externer Data Scientist erreicht manchmal mehr: Der Data Scientist als Mittler zwischen Fachbereich einerseits und IT andererseits? Theoretisch kann das funktionieren. Praktisch kann das aber auch daran scheitern, dass weder die eine noch die andere Seite den Data Scientist akzeptiert und dieser damit zwischen den Fronten in der Luft hängt. Das gestaltet sich anders, wenn das Unternehmen Data-Scientist-Knowhow für teuer Geld extern einkauft - dann ist der Druck da, mit ihm kooperieren zu müssen.

Ein weiterer Aspekt, den es zu beachten gilt: Ein guter Data Scientist arbeitet daran, sich selbst überflüssig zu machen - weil das gesamte Unternehmen lernt, wie es seine Daten gewinnbringend einsetzt. Ein Beispiel dafür liefert ein bekanntes Karriere-Netzwerk. Das Unternehmen hinter dem Netzwerk konnte seine Data Science-Abteilung nach dem entsprechenden Projekt wieder auflösen. Sicher ist: Dort, wo der Data Scientist heute aufgehängt ist, wird er in drei Jahren schon nicht mehr sein. Ebenso sicher ist: Die IT muss sich wandeln, wenn sie der Schlüssel zur digitalen Transformation sein will.

6. Es gibt ebenso wenig "die" Plattform wie "das" Tool: Was die technische Seite von Predictive Analytics angeht, zeigt sich die Runde pragmatisch. Plattformen sind Hilfsmittel und haben keinen Selbstzweck. Man würde keinem Kunden raten, "die eine" Plattform finden zu wollen. Ebenso gibt es Unternehmen, die sich aus übertriebener Angst vor möglichen Abhängigkeiten nicht für eine Plattform entscheiden können. Stattdessen sollte man sich auf das Ziel konzentrieren, Daten visualisieren und orchestrieren zu können. Genau so wenig gibt es dafür "das eine" Tool. Faktisch braucht man einen ganzen Werkzeugkasten. "Die jungen Leute bringen ihren Werkzeugkasten schon mit", beobachtet einer der Experten.

Was die Cloud angeht, so fahren die meisten Unternehmen hybride Ansätze. Das Modell der Multi-Cloud setzt sich im Unternehmensalltag mehr und mehr durch. Was sich außerdem noch zeigt, ist ein Trend zu Open Source. Seit etwa drei Jahren steige die Adaption von Open Source-Anwendungen rasant, konstatieren die Experten.

Fazit: Predictive Analytics ist ein Indikator für den Wandel. Das Ganze gleicht jedoch oft einer Black Box: Meist weiß nur der, der diese Black Box konfiguriert hat, auf welchen Annahmen sie basiert und wie ihre Ergebnisse interpretiert werden dürfen. Das schließt den Sachbearbeiter aus der Fachabteilung ebenso aus wie den Vorstandschef. Einer der Diskussionsteilnehmer formulierte das so: "Traut jemand einem Modell, das er nicht versteht?"

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Ein weiterer Punkt ist die Digital Literacy (deutsch etwa "digitale Alphabetisierung"). Derzeit gilt als alphabetisiert, wer Lesen und Schreiben kann und die Grundrechenarten beherrscht. Künftig werden digitale Fähigkeiten dazugehören. Hier wird deutlich, wie sich die Nutzung von Unternehmens- und Alltags-Technologien angenähert haben.

Das bedeutet aber nicht, dass es im Praxis-Alltag durchaus noch an der einen oder anderen Stelle knirschen kann. Ein Diskussionsteilnehmer bringt das so auf den Punkt: "Wenn das Navi sagt, ich soll auf die A8 fahren, aber mein Bauchgefühl spricht dagegen - wie entscheide ich? Regt sich nicht Widerstand gegen die digitale Versklavung?"

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