Der CIO als Enabler

Wie Großunternehmen überleben und wachsen

Ralf Dreischmeier ist Senior Partner bei McKinsey in London und globaler Leiter von Leap by McKinsey. Er hilft Unternehmen dabei, Geschäftsfelder zu entwickeln, die digitale Strategien einsetzen, um sich zu transformieren und neue Arbeitsweisen zu etablieren.

Markus Berger-de León ist Partner bei McKinsey in Berlin. Er unterstützt digitale Transformationen in Unternehmen und greift dabei auf seine Erfahrung als digitaler Unternehmer zurück. Zudem leitet er den Bereich Digital Business Building sowie Leap by McKinsey in Deutschland.

Um im Wettbewerb zu bestehen, sollten sich Großunternehmen auf die eigenen Stärken besinnen und diese mit der Agilität eines Startups verknüpfen. Der CIO spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Die erfolgreichsten Unternehmen haben in den vergangenen 20 Jahren mindestens fünf neue Unternehmen gegründet.
Die erfolgreichsten Unternehmen haben in den vergangenen 20 Jahren mindestens fünf neue Unternehmen gegründet.
Foto: fotoinfot - shutterstock.com

Etablierte Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle stetig weiterentwickeln. Populäre Beispiele, wie neue Marktteilnehmer ganze Industrien auf den Kopf stellen und etablierte Unternehmen alt aussehen lassen, gibt es genug. Hersteller von digitalen Kameras für Jedermann haben gegenüber den großen Herstellern von Smartphones einen Wachstumsmarkt verpasst. Große Filmstudios, die lange Zeit eine Monopolstellung für hochkarätig besetzte Neuerscheinungen innehatten, werden von Eigenproduktionen der Streaming-Anbieter unter Druck gesetzt.

Die Lebensdauer großer Unternehmen sinkt. Wer diesen Alterungsprozess aufhalten will, sollte sich aktiv und vor allem dauerhaft mit dem Aufbau neuer Geschäfte – dem sogenannten Business Building – beschäftigen. Sechs der zehn weltweit größten Unternehmen sind Wiederholungstäter, was Business Building betrifft. Die erfolgreichsten haben in den letzten 20 Jahren mindestens fünf neue Unternehmen gegründet. So gelingt ihnen ein kontinuierliches organisches Wachstum. Weiterer positiver Effekt: Dieses innovative Umfeld stellt für junge Talente ein wesentlich attraktiveres Arbeitsumfeld dar als ein angestammtes, großes Unternehmen.

Klassische Großunternehmen verfügen über Talente, Kapital, Marktkenntnisse, geistiges Eigentum, Daten und andere Vermögenswerte. Hinzu kommt in der Regel eine optimierte Informationstechnik. Das kann ihren neuen Unternehmen einen entscheidenden Vorteil gegenüber eigenständigen Startups verschaffen und Geschäftsmöglichkeiten am Markt zum Erfolg verhelfen.

Für die Gründung neuer Unternehmen muss das Top-Management drei Ressourcen berücksichtigen: Finanzierung, Mitarbeiter und Technologie. Führungskräfte müssen entscheiden, wie viel Kapital sie zur Verfügung stellen können. In entwickelten oder schrumpfenden Märkten mit geringen Wachstumschancen nimmt der Betrag schnell eine beträchtliche Größe an. In Wachstumsmärkten kann der Kapitalaufwand deutlich geringer sein.

CIOs legen die technische Basis

Einen erheblichen Einfluss auf die Investitionssumme haben technologische Erwägungen: Welches unserer Assets könnte neuen Unternehmen eine größere Chance auf Erfolg geben? Welche Komponenten baue ich selbst? An welchen Stellen bieten sich vorgefertigte Tech-Lösungen von meinem Partner an?

Die Frage nach der notwendigen IT-Infrastruktur ist für den CIO die Chance, eine Plattformstrategie voranzutreiben. Denn die Erfahrungen bei der Umsetzung der Plattformstrategie für das Nachgeschäft kann später der Transformation des Mutterunternehmens dienen. Plattformen konzentrieren sich auf Geschäftslösungen, um Kunden (intern oder extern) zu bedienen und andere Plattformen zu versorgen. Drei Gruppen können unterschieden werden:

  • Kunden-Plattform: Umfasst alle digital gestützten Interaktionspunkte in Richtung des Kunden, etwa die Eröffnung eines Kontos bei einer digitalen Bank oder die Suche in einem Online-Shop. Diese Plattformen basieren weitgehend auf wiederverwertbarem Code.

  • Capability-Plattform: Beinhaltet die funktionalen Fähigkeiten, um einen Service bereitzustellen. Klassisches Beispiel ist eine Zahlungsfunktion.

  • IT-Plattform: Stellen die gemeinsamen Technologien zur Verfügung, auf der die Kunden- und Capability-Plattformen laufen, wie z.B. die Cloud-Plattform, die Datenanalyse-Umgebung und das Set an IT-Konnektivitätslösungen.

Agil dank Minimum Viable Architecture

CIOs sollten hier nicht nach Perfektion streben. Minimum Viable Architecture heißt der zu verfolgende Ansatz: Gerade so viele technische Komponenten wie nötig, um die ersten Services zu etablieren und gleichzeitig eine Veränderung in der Zukunft zu ermöglichen. So kann die Implementierung der Plattform parallel zur Entwicklung eines neuen Produktes oder Services erfolgen.

In der Praxis beginnt die Realisierung einer Plattformstrategie mit der Prüfung des potenziellen Plattform-Portfolios. Dazu werden die Aktivitäten der neuen Organisation und die dazu nötige IT als erste Arbeitsgrundlage in voneinander abgrenzbare Plattformen geclustert und auf potenzielle Wirkkraft abgeklopft. Im Anschluss werden zwei bis drei Plattformen priorisiert und mit Teams bestückt.

Gleichzeitig wird ein Team eingerichtet, das die Integration der neuen Plattformen in den Arbeitsalltag verantwortet. Dieses besteht grundsätzlich aus einem Plattform-Verantwortlichen, Business-Verantwortlichen mit Domänenwissen, technischen Mitgliedern für das Management der IT-Anwendungen und funktionalen Experten, etwa aus dem Bereich Finanzen.

Mit einfachen Fragen beginnen, statt strategisch zu überfrachten

Damit das Team erfolgreich arbeitet, muss es agil und autonom arbeiten können, ohne von der Muttergesellschaft bevormundet zu werden. Die Wahrung der Autonomie ist sowohl technologisch als auch für den Business-Bereich spielentscheidend. Das ist häufig ein ungewohntes Unterfangen, insbesondere, wenn sich die Geschäftsmodelle von Mutter- und Tochterorganisation grundlegend unterscheiden.

Am Ende gilt: Das Top-Management muss entscheiden, wohin es das Unternehmen führen will, wie Business Building hierbei unterstützen kann und welche Rolle CIOs dabei einnehmen. Einfache Fragen helfen bei der Strukturierung: Wie soll unser Unternehmen in fünf bis zehn Jahren aussehen? Welche organischen Wachstumschancen müssen wir nutzen? Welche neuen Geschäftsideen würden das ermöglichen? Und warum haben wir diese Ideen noch nicht weiterverfolgt?

Ein gutes Management zeichnet sich aber auch dadurch aus, bei Bedarf auf die Bremse zu treten, notfalls Entscheidungen rückgängig zu machen oder manchen Plänen einen Riegel vorzuschieben. So vermeidet das Unternehmen, unnötig viel Geld in Konzepte zu stecken, die zum Scheitern verurteilt sind. Führungskräfte, die diese Vermögenswerte mit fortschrittlichen Technologien sowie Kultur und Arbeitsweise eines Startups kombinieren, können eine Fähigkeit zum Geschäftsaufbau schaffen, die ein kontinuierliches organisches Wachstum ermöglicht.

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