Smart-Farming-Technologien

Wie Traktoren sehen lernen

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Traktorenhersteller wollen weite Teile der Arbeit auf den Äckern und Wiesen automatisieren. Dafür entwickeln sie immer intelligentere, autonom arbeitende Maschinen.
Mit dem Modell 8R hat John Deere einen autonom fahrenden Traktor vorgestellt.
Mit dem Modell 8R hat John Deere einen autonom fahrenden Traktor vorgestellt.
Foto: John Deere

Ein Traktor, der wie von Geisterhand gesteuert über den Acker fährt, eine Sämaschine, die das Saatgut genau an der richtigen Stelle in den Boden bringt oder ein RoboterRoboter, der erkennt, welche Pflanze ein Unkraut ist und sie punktgenau mit einem sparsam verwendeten Pestizid vernichtet - das ist keine Zukunftsmusik mehr. Die Hersteller von Landmaschinen arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Fuhrparks und Maschinen mit Hilfe von Software und künstlicher Intelligenz (KI) smarter zu machen. Alles zu Roboter auf CIO.de

Zu den Herstellern, die besonders konsequent auf DigitalisierungDigitalisierung setzen, gehört der amerikanische Landmaschinen-Hersteller John DeereJohn Deere. Das Management kündigte jüngst eine Anpassung der Strategie an und will sich in den kommenden Jahren mehr zu einem Software- und KI-Unternehmen entwickeln. Top-500-Firmenprofil für John Deere Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

John Deere nähert sich KI aus zwei verschiedenen Richtungen an, sagte Manager Jorge Heraud. "Zum einen geht es um Automatisierung, mit der Maschinen Leistungen jenseits des Menschenmöglichen erbringen, zum anderen um Autonomie, also fahrerlose Vehikel." Als Beispiel nennt Heraud KI-Systeme, mit deren Hilfe sich Unkraut automatisch erkennen und beseitigen lässt. Damit müssten Bauern nicht mehr ganze Felder mit Pestiziden besprühen oder von Landarbeitern mit der Hand jäten lassen, was teuer und zeitintensiv sei. Kümmere sich der Traktor, während er das Feld bestellt, nebenher um diese Aufgabe, könnten Landwirte viel Zeit und Geld sparen. Der Ertrag werde zudem gesteigert.

John Deere 8R - mehr als wenden oder Spur halten

Auf der Consumer Electronics Show (CES) Anfang des Jahres in Las Vegas präsentierte John Deere mit dem "8R" einen autonom fahrenden Traktor. Heraud, Vice-President für Autonomie und Automatisierung, betonte, John Deere habe mit der Maschine eine neue Entwicklungsstufe erreicht. Bisherige KI-Systeme würden etwa beim Wenden unterstützen oder dabei assistieren, Fahrtlinien einzuhalten. Die Fahrer müssten jedoch in der Kabine sitzen und immer mal wieder eingreifen, wenn Hindernisse auftauchen.

Der neue Traktor funktioniere dagegen weitgehend selbstständig. Registriere er etwas, mit dem er nicht umgehen könne, alarmiere er die zuständigen Personen. Diese könnten das Fahrzeug dann fernsteuern oder, wenn nötig, das Problem vor Ort lösen. Damit hätten Bauern trotz des sich vergrößernden Mangels an Landarbeitern die Chance, ihre Felder in der Hochsaison rechtzeitig zu bestellen.

John Deere zufolge hat der 8R den Prototypenstatus bereits hinter sich und ist reif für die Serienproduktion. Erste Maschinen würden noch im laufenden Jahr an Kunden in Nordamerika ausgeliefert. Wann der autonome Traktor in Europa verfügbar sein wird, ist noch nicht abzusehen. Das liege an den sicherheitstechnischen Vorgaben für den Einsatz autonomer Fahrzeuge in Europa, heißt es von Seiten des Herstellers.

John Deere kauft digitale Fahr- und Sensortechnik zu

Um die Digitalisierung seiner Maschinen voranzutreiben, setzt John Deere auch auf Zukäufe. Anfang August 2021 wurde für rund 250 Millionen Dollar Bear Flag Robotics übernommen. Das 2017 gegründete und im Silicon Valley ansässige Startup-Unternehmen entwickelt autonome Fahrtechnologie, mit denen sich auch vorhandene Maschinen nachrüsten lassen.

"Deere sieht in der Autonomie einen wichtigen Schritt, um Landwirte in die Lage zu versetzen, ihre Ressourcen besser zu nutzen, um die Welt zu ernähren und nachhaltigere und profitablere Betriebe zu schaffen", kommentierte Jahmy Hindman, Chief Technology Officer des Unternehmens, die Übernahme. "Eine der größten Herausforderungen, vor denen Landwirte heute stehen, ist die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal für zeitkritische Arbeiten. Autonomes FahrenAutonomes Fahren bietet eine sichere und produktive Alternative, um diese Herausforderung zu meistern", ergänzte Igino Cafiero, Mitbegründer und CEO von Bear Flag Robotics. Alles zu Autonomes Fahren auf CIO.de

Mit Light hat John Deere offenbar ein weiteres hochspezialisiertes Unternehmen zugekauft. Die Übernahme des Startups aus Redwood City ist noch nicht offiziell bestätigt, wurde aber von verschiedenen US-Medien berichtet. Light ist spezialisiert auf Sensor- und Kameratechnik für autonome Fahrzeuge. Der Maschinenhersteller dürfte vor allem an Lights Plattform "Clarity" interessiert sein. Dabei kommen herkömmliche Kameras zum Einsatz, deren Bilder über einen Vision-Computing-Ansatz verarbeitet werden. Das komme dem menschlichen Sehen nahe und sei für den Einsatz auf dem Acker besser geeignet als beispielsweise die teure und aufwendige LiDAR-Technik, hieß es.

LiDAR steht für "Light Detection and Ranging" also etwa "Lichterkennung und Raumvermessung" und funktioniert mit Laserlicht. Mit der Technik, die für autonomes Fahren auf den Straßen verwendet wird, lassen sich Entfernungen und Geschwindigkeiten von Objekten schnell und exakt messen. Im hektischen Straßenverkehr einer Großstadt müssen autonome Fahrzeuge das leisten können, um beispielsweise auch bei diffusem Licht oder schlechten Wetterverhältnissen Fußgänger zu identifizieren.

Auf dem Acker, wo es in der Regel langsamer zugeht, ist das nicht notwendig. Die Light-Plattform kann über stereoskop angeordnete Kameras 3D-Strukturen in einem Radius von zehn Zentimetern bis zu 1000 Metern erkennen. Das System verarbeitet bis zu 95 Millionen Bildpunkte in der Sekunde. 30 Mal pro Sekunde wird das 3D-Modell rund um die Maschine erneuert. Mit Hilfe herkömmlicher Kamerabilder lassen sich zudem Objekte und Pflanzen auf Basis von KI-Algorithmen besser identifizieren. Ein weiterer Vorteil der Kameratechnik: Sie ist robuster als LiDAR, was gerade auf den holprigen Äckern ein Pluspunkt sein dürfte.

Auch andere Hersteller arbeiten an neuen Maschinen für das Smart Farming, beispielsweise Fendt aus dem bayerischen Marktoberdorf, das seit 1997 zum amerikanischen AGCO-Konzern gehört. Nach dem Abschluss des Forschungsprojekts MARS (Mobile Agricultural Robot Swarms) sollen die Ergebnisse nun zur Serienreife weiterentwickelt werden.

Xaver - die Robots schwärmen aus

Fendt verfolgt mit dem Projekt "Xaver" - der Name geht auf einen der beiden Firmengründer Hermann und Xaver Fendt zurück - einen anderen Ansatz. Xaver setzt mit seinen Robotern auf Cloud-gesteuerte Schwarm-Technologie. Viele kleine Robotereinheiten arbeiten dabei autonom und im Schwarm auf einem Feld, beispielsweise bei der Mais-Aussaat.

Fendt AGCO Robots Xaver
Fendt AGCO Robots Xaver
Foto: Fendt/AGCO

Die Vorteile: Wenn eine Einheit einmal ausfällt, wird der Job auf dem Feld trotzdem erledigt, weil die anderen Robots entsprechend einspringen. Außerdem sind die Xaver-Roboter deutlich leichter als die viele Tonnen schweren Traktoren, die heute vielerorts im Einsatz sind. Ein voll mit Saatgut beladener Feldroboter kommt auf etwa 250 Kilogramm. Im Gegensatz dazu verdichten die riesigen Maschinen die Ackerböden immer weiter, schädigen damit Mikroorganismen und Bodensubstanzen und verringern so mittel- und langfristig die Erträge.

Xaver-Robots fahren elektrisch - ein weiterer Umweltvorteil. Eine Akkuladung reicht für etwa 1,5 Stunden Feldarbeit. Die Steuerung funktioniert per App auf dem Rechner, Tablet oder Smartphone über die Cloud. Für die Arbeit auf dem Feld werden die Roboter zusammen mit einer Basisstation, genannt Logistikeinheit, eingesetzt. Das funktioniert ähnlich wie beim autonomen Rasenmäher oder Staubsauger: Leeren sich die Saatgutbehälter oder Akkus, fährt Xaver zur Logistikeinheit an den Feldrand und lädt neu auf.

Smart Farming braucht gute Netzabdeckung

"Grundpfeiler unseres Schwarmsystems sind die Skalierbarkeit in Bezug auf Investitionskosten und Schlagkraft, die Minimierung von Ausfallrisiken durch Redundanz der Roboter sowie die Integration von Autonomie und Präzisionslandwirtschaft", erklärt Benno Pichlmaier, Director Global Technology & Innovation bei Fendt/AGCO. "Wir haben nach der Aussaat mit dem Xaver sozusagen eine Landkarte aller Nutzpflanzen auf dem Feld, die die Basis sämtlicher Folgearbeiten wie zum Beispiel Pflanzenschutz, mechanische Unkrautbekämpfung und Düngung darstellt."

Voraussetzung für Schwarmtechnologie sei allerdings eine verlässliche Netzabdeckung zur Kommunikation, mahnt Pichlmaier an. Perspektivisch setze man auf die konsequente Umsetzung der Digitalstrategie mit einem 5G-Netzausbau in Deutschland und weltweit. "Damit können die Roboter auch mit größeren und dynamischeren Datenmengen zukünftige Farming-4.0-Funktionen darstellen."

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