Strategien


IT-Chef Roland Ludwig

Selecta wird zum Food-Tech-Unternehmen

Jens Dose ist Editor in Chief von CIO. Seine Kernthemen drehen sich rund um CIOs, ihre IT-Strategien und Digitalisierungsprojekte.
Der Schweizer Snackautomatenanbieter möchte sein Geschäft digital diversifizieren. CTO und COO Roland Ludwig stellt dafür die Weichen.
Roland Ludwig, CTO und COO von Selecta: "Jedes Land hatte eine eigene IT-Organisation, diese 16 dezentralen Einheiten mussten wir erst einmal unter einen Hut bringen."
Roland Ludwig, CTO und COO von Selecta: "Jedes Land hatte eine eigene IT-Organisation, diese 16 dezentralen Einheiten mussten wir erst einmal unter einen Hut bringen."
Foto: Selecta

Selecta ist bekannt als Betreiber von Snack- und Getränkeautomaten an Flughäfen und anderen öffentlichen Plätzen oder als Provider von Kaffeevollautomaten in der Büroküche. Mit rund 370.000 solcher Verkaufsstellen in 16 Ländern und zirka 7.000 Beschäftigten gilt das Schweizer Unternehmen als größter Anbieter der Branche in Europa.

Laut CTO und COO Roland Ludwig soll dieses Geschäftsmodell über das klassische Vending-Business hinaus transformiert werden. So gebe es Pläne, insbesondere das Kaffeegeschäft mit Konzernen wie Starbucks, Lavazza oder NestléNestlé sowie mit lokalen Einzelhändlern auszuweiten. Zudem sollen die Lösungen des Unternehmens "intelligenter" werden. Unter dem Schlagwort "FoodTech" arbeitet Selecta etwa an smarten 24x7-Kühl-Automaten mit frischen und lokalen Lebensmitteln, setzt Telemetrie für eine effizientere Befüllung und Wartung ein und lotet digitale Bezahlmöglichkeiten an den Verkaufsstandorten aus. Top-500-Firmenprofil für Nestlé

Basisarbeit in der IT

Um das technische Fundament für die neuen Geschäftsfelder zu legen, galt es für Ludwig und sein Team, die IT des Unternehmens zu modernisieren. Als der IT-Chef Ende 2020 als Group CTO antrat, machte er sich daran, Netzwerk- und Datacenter-Services zu konsolidieren und die IT organisatorisch zu zentralisieren. Ludwig: "Jedes Land hatte eine eigene IT-Organisation, diese 16 dezentralen Einheiten mussten wir erst einmal unter einen Hut bringen."

Dazu bewertete das Team um Ludwig alle Technologie- und IT-Services hinsichtlich ihrer Effizienz und Kosten. Zudem evaluierte es, ob die Dienste dafür geeignet sind, sie gruppenweit anzubieten. Über ein Organisations-Assessment wurden die lokalen IT-Standorte auf Stärken und Schwächen hin durchleuchtet. Zudem galt es, Kostentransparenz und -kontrolle herzustellen sowie mehr Sensibilität für diesen Aspekt in der Belegschaft aufzubauen.

Private Cloud und CRM von Microsoft

Um die IT-Dienste zu konsolidieren, entschied sich Ludwig für den Schritt in die Cloud. "Wir sind innerhalb von vier Monaten aus einem von FujitsuFujitsu gemanagten RechenzentrumRechenzentrum in eine Private Cloud auf Basis von Microsoft Azure migriert," berichtet er. Ein kleiner Teil der IT-Umgebung liege derzeit noch auf anderen Plattformen, soll jedoch noch 2022 ebenfalls auf Azure gehievt werden. Top-500-Firmenprofil für Fujitsu Alles zu Rechenzentrum auf CIO.de

"Wir haben uns für eine Single-Cloud-Strategie entscheiden, weil viele der IT-Kolleginnen und Kollegen bereits Know-how bezüglich der Microsoft-Plattform gesammelt hatten," so Ludwig. Selecta arbeite mit dem Genfer Dienstleister Sword Technologies zusammen, der den Service Desk für die Cloud betreibt, bei der Implementierung von Cloud-Diensten unterstützt und auch Cloud-native Anwendungen für das Unternehmen neu entwickelt.

Um die 16 separaten Standorte zusammenzubringen, führte das Team um Ludwig Microsoft Dynamics 365 als übergreifende Lösung für Customer Relationship Management (CRM) ein. Zuvor waren etwa Salesforce, diverse Altlösungen mit unterschiedlichen Dateiformaten oder Excel-Tabellen im Einsatz. Ein kleines Kernteam aus Architekturspezialisten arbeitete mit den Fachverantwortlichen zusammen, um die Lösungen auf die neue Plattform zu migrieren.

Integration und Analytics

Dabei musste die IT viel in Integrationsaufgaben investieren. "Es war eine Herausforderung, die teils Jahrzehnte alten ERP-Systeme vor Ort in den einzelnen Ländern mit dem CRM in der Azure-Cloud zu verknüpfen," so Ludwig. Doch der Aufwand habe sich gelohnt. Über eine Microsoft-Power-BI-App können nun alle relevanten Daten aller Länder visualisiert und über Mobilgeräte direkt abgerufen werden. "Wir sehen auf Anhieb, was in der Pipeline ist, welche Kunden- und Produktsegmente wo wachsen, wie engagiert unsere Belegschaft mit Kunden interagieren oder welcher Angebots-Mix in den jeweiligen Märkten am besten funktioniert," berichtet der CTO. So sei es möglich, auf individuelle Kundenbedürfnisse zu reagieren.

Smarte 24x7-Kühl-Automaten mit frischen und lokalen Lebensmitteln sollen Selecta helfen, zum "FoodTech"-Unternehmen zu werden.
Smarte 24x7-Kühl-Automaten mit frischen und lokalen Lebensmitteln sollen Selecta helfen, zum "FoodTech"-Unternehmen zu werden.
Foto: Selecta

Darauf aufbauend arbeitet das Team um Ludwig gerade mit einem Partner verstärkt am Bereich Daten und Analytics. Ziel ist es, auch die Legacy-ERP-Systeme der Länder über die Integrationsplattform mittels Kafka-Livestreams oder anderen Integrationsmuster an einen Data Lake anzudocken. Die Datenstrukturen werden anschließend in einem Datawarehouse modelliert. Schließlich nutzt die IT Power BI, um daraus Dashboards und Reports zu erstellen.

Die so aggregierten Daten sollen 2023 per Data-Science-Methoden ausgewertet und daraus Algorithmen für Mitarbeitereinsatzplanung sowie bessere Produktplanung und höhere Service-Qualität entwickelt werden. "So wollen wir in Zukunft gezielter entscheiden, welche neuen Angebote wir einführen und wie wir uns positionieren," erläutert Ludwig.

Fokus auf Kommunikation

Um den Change zu stemmen und das Cloud-Mindset in der Belegschaft zu etablieren, arbeitete Ludwig mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf verschiedenen Organisationsstufen zusammen. Führungskräften half sein Team etwa, die kritischen Anwendungen des neuen IT-Ansatzes und deren Risikofaktoren zu verstehen. Kolleginnen und Kollegen mit direktem Kundenbezug wurden zu Wissensträgern, die das neue Know-how in die breite Belegschaft trugen.

Bei all dem legte Ludwig großen Wert auf Kommunikation und länderübergreifende Teams. Er stellte sicher, dass alle Beteiligten die gesteckten Ziele kannten und erklärte regelmäßig, warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden.

Schwerpunkt Integration

Rund 70 Prozent der knapp 60 internen IT-Beschäftigten bei Selecta kümmern sich um die zahlreichen ausgelagerten IT-Dienste des Unternehmens, steuern bestehende Applikationen und Services. Ludwig: "Wir entwickeln wenig selbst, sondern kaufen Lösungen ein. Darum haben wir einen starken Fokus auf Integration und effizientes Partnermanagement."

Die restlichen 30 Prozent sind für das Architektur-Design und die Schnittstellenspezifikation zuständig. "Sie kümmern sich um den Bebauungsplan der neuen IT-Landschaft und befassen sich etwa mit Business Analytics oder erarbeiten gemeinsam mit den Geschäftseinheiten passende Lösungen," so der CTO.

Telemetrie als USP

Als Alleinstellungsmerkmal von Selecta sieht Ludwig die Telemetrie-Funktionen der Automaten. "Wenige Mitbewerber haben das in einer vergleichbaren Flächenabdeckung und Detailtiefe im Einsatz," sagt er. Auch, dass Telemetrie über das gesamte Produktportfolio hinweg genutzt werde, sei ein Vorteil.

Der verstärkte Ausbau der Telemetrie startete Anfang 2021. Seither habe das Unternehmen laut Ludwig zwischen zwölf und 15 Millionen Schweizer Franken in die Entwicklung investiert. "Mittlerweile ist der Rollout gut vorangegangen," so der IT-Chef. Von 370.000 Verkaufspunkten seien bereits rund 120.000 mit den Kernsystemen von Selecta verbunden. Die Geräte sind mit IoT-Boxen ausgestattet, die mittels mobiler Datenübertragung Informationen, etwa zu verkauften Produkten, in Echtzeit an das Backend schicken.

Anhand dieser Informationen lassen sich nicht nur Preise und das Sortiment anpassen. Laut Ludwig helfen sie auch bei der dynamischen Routenplanung: "Wenn etwa zwei Mitarbeiter in Frankfurt 14 Standorte befüllen sollen, kombinieren wir die Telemetrie-Daten mit Navigationsdaten, GoogleGoogle Maps und Bestandssystemen und ermitteln die effizienteste Strecke mit dem geringsten CO2-Ausstoß." Alles zu Google auf CIO.de

So können die Fahrer die Strecke schnellstmöglich abfahren, während die Kollegen im Lager schon die korrekte Warenmenge für die nächste Tour bereitstellen. "Wir steuern genau, welche Artikel in welcher Menge wann zu welchem Kunden geliefert werden und vermeiden Wartezeiten an den Lagerhäusern." Zudem lasse sich pro Standort oder Produkt der Umsatzverlust berechnen, wenn ein bestimmter Automat am kommenden Tag nicht befüllt und gewartet wird.

Mehr Nähe zum Kunden

Für 2023 plant Ludwig unter anderem, die Interaktion mit den Konsumenten zu verbessern. "Wir haben zwar in einigen Ländern Wallet-Apps, um Bezahlungen abzuwickeln, aber keine übergreifende Lösung" sagt er. Sein Team arbeite gerade mit einem Partner daran, ein standardisiertes System für alle Bezahl-Terminals europaweit zu entwickeln. Ludwig: "So wollen wir auf der einen Seite eine einheitliche Kundenerfahrung schaffen und auf der anderen Seite Informationen zum Konsumentenverhalten besser auswerten." So könne Selecta etwa gezielter ein bestehendes Sortiment an einem Standort um weitere Produkte ergänzen.

Automaten mit Touch Screen sollen die Nutzerführung verbessern.
Automaten mit Touch Screen sollen die Nutzerführung verbessern.
Foto: Selecta

"Jeder unserer Automaten ist zudem ein Touchpoint mit den Kunden. Mit neuen, digitalen Ansätzen könnten wir einen höheren Mehrwert aus diesem Asset ziehen," sagt er. Eine Überlegung gehe dahin, klassische Vending-Maschinen durch neue Geräte mit einem großen Bildschirm zu ersetzen, um digital Services anbieten zu können. Darüber könnte beispielsweise die Interaktion mit Kunden besser gesteuert und ansprechender gestaltet werden.

Darauf aufbauend könnten auch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, berichtet der Manager. Der große Screen ließe sich etwa als Werbefläche für Dritte vermarkten und eröffne so eine neue Umsatzquelle. Ludwig: "Das bringt neue Herausforderungen mit sich. Wir müssen intern mehr Know-how und Ressourcen für Dinge wie digitales Asset Management oder Datenübertragung an die Geräte aufbauen."

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