Folge des Klimawandels

Deutschlands Alpen wachsen mit Wäldern zu

19.04.2022
In den Alpen genießen Einheimische wie Touristen die Aussicht auf Gipfel und Bergwiesen. Damit ist bald Schluss, warnen Forscher. Mit steigenden Temperaturen dehnen sich Wälder immer höher aus - und das rasant schnell.

Bei der Gipfelrast den Blick weit über saftige Bergwiesen schweifen lassen - das wird es zumindest im deutschen Teil der Alpen künftig immer seltener geben. Noch in diesem Jahrhundert wird nach Einschätzung von Wissenschaftlern ein Großteil der Berge zwischen Berchtesgaden und Oberstdorf mit Bäumen bewachsen sein - eine Folge des Klimawandels, der sich in den Alpen schon jetzt viel stärker bemerkbar macht als im Rest von Deutschland. Ein Forschungsprojekt, das auf die Mithilfe von Wanderern setzt, zeigt düstere Aussichten.

Auch in höheren Lagen ist zukünftig mit Baumbestand zu rechen.
Auch in höheren Lagen ist zukünftig mit Baumbestand zu rechen.
Foto: martim zamarski - shutterstock.com

"Die Berge wachsen zu. Die schönen Landschaften oberhalb der Waldgrenze, wo wir einen tollen Blick haben und die Kühe friedlich grasen, das wächst alles zu", erläutert Jörg Ewald von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf die vorläufigen Ergebnisse des Mitmach-Projekts "Baumgrenzen erkunden".

Dabei werden Bergliebhaber aufgefordert, bei ihren Touren auf die höchstgelegenen Exemplare von 23 Baumarten zu achten. Entdecken sie einen für einen Höhenrekord in Frage kommenden Baum, wird der Standort samt GPS-Koordinaten und Foto in einer App gespeichert.

Der Clou: 1854 wurden die höchstgelegenen Exemplare im Auftrag des bayerischen Königs Maximilian II. schon einmal erfasst - just zu jener Zeit, die heute als Referenz für vorindustrielle Klimabedingungen gilt. Und schon damals wurde auf der Wetterwarte auf dem oberbayerischen Hohen Peißenberg täglich die Temperatur gemessen.

Stechpalme schon 400 Höhenmeter gewandert

"Seither hat die Temperatur in den Alpen schon um zwei Grad zugenommen", erläutert Ewald. Die Stechpalme etwa, die 1854 ihren höchsten Standort auf 907 Metern hatte, findet sich heute bereits auf 1.300 Metern - und hat sich damit um genau jene 400 Höhenmeter nach oben ausgebreitet, die wegen der höheren Durchschnittstemperatur zu erwarten gewesen wären.

"Diesen Prozess kann man sich Baumart für Baumart anschauen", erläutert Botanikprofessor Ewald. Die Daten der Wanderer werden nämlich in anschauliche Karten übertragen - anzusehen im "Portal" unter www.baysics.de. Einen Mausklick weiter finden sich im "NatureExplorer" auch Projektionen für die Zukunft. Rot eingefärbt erscheinen dann die Flächen, auf denen etwa die Stechpalme bei einer weiteren Erwärmung um ein Grad und zwei Grad wachsen könnte - womit die Forscher bei einem nur moderat zunehmenden Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2050 beziehungsweise 2100 rechnen.

"Dann hätten wir gegenüber 1850 plus vier Grad - das ist das, was viele Wissenschaftler für am wahrscheinlichsten halten. Das können wir fast nicht mehr verhindern", betont Ewald. Nur die Spitzen des Zugspitzmassivs würden der Prognose zufolge am Ende dieses Jahrhunderts noch aus den Wäldern herausschauen. "Das ist Wahnsinn, was wir da machen mit dem Klima. Das ist wie eine Zeitbombe, die vor unseren Augen abläuft!"

Immer weniger und kürzer Eis und Schnee

Dass sich das Bergland schneller erwärmt als das Flachland, liegt daran, dass in den Bergen immer weniger und kürzer Eis und Schnee liegt. Denn weiße Flächen reflektieren die Sonnenenergie wesentlich besser als dunkle Flächen wie Schotter oder Grasland. Steigt nun der Anteil dunkler Flächen, heizt sich das Gebirge auf - zusätzlich zum "normalen" Anstieg durch die Treibhausgase.

"Man sieht überall durch Messungen, dass es sich erwärmt, aber man sieht diese Erwärmung auch in der Natur", schildert Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der TU München. Das werde Folgen haben: "Der Klimawandel ist viel zu schnell, als dass sich unsere Vegetation natürlich diesem Tempo anpassen könnte."

Wenn etwa an der Zugspitze der Permafrost auftaue, wegen der fehlenden Bodenentwicklung aber noch kein schützender Wald wachsen könne, "dann kommt es vermehrt zu Naturgefahren", erläutert Menzel. Dazu gehören etwa Lawinen, Muren, instabile Hänge und Steinschläge.

Und auch auf niedrigeren Bergen droht Gefahr: Wegen der zunehmenden Trockenheit werde selbst im Winter das Waldbrandrisiko deutlich steigen, mahnt Menzel. Bei der Gipfelbrotzeit könnte dann der Anblick verkohlter Bäume und Sträucher den Appetit verderben. Menzel sieht deshalb nur eine Möglichkeit: "Wir müssen raus aus den fossilen Energien, müssen auf regenerative Energien umsteigen, und das möglichst schnell." (dpa/ad)

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