Strategien


Existenzfrage

Wie schwer wiegt IT?

Heinrich Seeger arbeitet als IT-Fachjournalist und Medienberater in Hamburg. Er hat über 30 Jahre IT-journalistische Erfahrung, unter anderem als Gründungs-Chefredakteur des CIO Magazins. Er entwickelt und moderiert neben seiner journalistischen Arbeit Programme für Konferenzen und Kongresse in den Themenbereichen Enterprise IT und Mobile Development, darunter IT-Strategietage, Open Source Meets Business, droidcon und VDZ Tech Summit. Zudem gehört er als beratendes Mitglied dem IT Executive Club an, einer Community von IT-Entscheidern in der Metropolregion Hamburg.

Erwartungen enttäuscht

Und: Zu groß waren um die Jahrtausendwende herum die Versprechungen von neuen, angeblich nur durch IT ermöglichten Geschäftsmodellen, die sich mittlerweile in Luft aufgelöst haben, beklagt Hubert Österle, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Elektronische Marktplätze (s. Seite 58) seien nur ein Beispiel dafür. Die "Übertreibung" während der Internet-Euphorie habe den CIOs seriöses Arbeiten massiv erschwert. "Wir wollen nicht eure langweilige Prozessoptimierung", hätten sie zu hören bekommen, "sondern wir wollen E-Business, wollen neue Geschäftsmodelle." Vor allem die IT-Industrie trifft der Zorn des Wissenschaftlers; er rechnet vor, dass die Anbieter jeden Budget-verantwortlichen IT-Manager mit durchschnittlich 100 000 Dollar an Marketing-Mitteln bearbeitet - und damit viele von ihnen fast zwangsläufig ins Scheitern getrieben - haben.

Die überdrehte Stimmung habe zwar irgendwann wieder "aufs natürliche Maß" zurückgefahren werden müssen, sagt Österle. Aber jetzt geht es auch wieder zu weit: "Das Pendel schlägt zur anderen Seite aus." Es gibt Hinweise, dass Österles Befürchtung zutrifft: Ein Drittel von 437 Geschäftsentscheidern äußerte sich im Mai 2003 auf Befragen von Forrester Research unzufrieden mit den Leistungen der IT-Abteilungen in ihren Firmen. Heute haben CIOs offenbar nur noch selten die Möglichkeit, ihre Rolle als Innovationstreiber ernsthaft wahrzunehmen. Sparen heißt die Devise, wer scheitert, fliegt. Top-Positionen sind zu Schleudersitzen geworden, deren Treibsatz meist aus Kostenargumenten gebildet wird, wie ein Blick auf das sich schnell drehende Personalkarussell (siehe Seite 62/63), verdeutlicht.

Keine Standardsoftware für Prozesse

Freudige Neugierde bei IT-fremden Sparfüchsen, aber Stirnrunzeln bei Fachleuten hat Carrs Behauptung hervorgerufen, IT-gestützte Geschäftsprozesse würden immer stärker in Standardsoftware abgebildet, sogar in sie eingebettet. Dabei erscheint es logisch: Die Verdoppelung der Rechenleistung alle zwei Jahre nach "Moores Gesetz" führe zu einer rapiden Verbilligung von Rechenleistung, damit zur "Demokratisierung der Computer-Revolution" und so schließlich dazu, dass "selbst die fortschrittlichsten IT-Ressourcen schnell für alle verfügbar" würden.

Carrs Fehler, den ihm durch die Bank alle Kritiker vorwerfen: Er ignoriert, dass es in der Unternehmens-IT nicht ausschließlich um technische Ressourcen, sondern im Wesentlichen um Prozessunterstützung geht. Tom Pisello, CEO der US-Marktforschungs- und Beratungsgesellschaft Alinean, hält dem Publizisten und Berater entgegen: Auch wenn Technologie zur Commodity werde, also leicht verfügbar und kostengünstig, seien ihre Implementierungen in Form von Anwendungen und Lösungen nicht einfach kopierbar, und zwar wegen der "einzigartigen Bedürfnisse und Prioritäten einzelner Organisationen".

Thomas Tribius, CIO des Axel Springer Verlags in Hamburg, behauptet sogar schlankweg: "Moores Gesetz funktioniert nicht mehr." Die IT ist nach seiner Überzeugung auf einem ganz anderen Weg: von der noch sehr stark kostengetriebenen Funktions- über die Prozessunterstützung hin zur Rolle als strategisches Gut und damit als Faktor des Unternehmenswerts. Carr rückwärts, sozusagen.

Legowirtschaft gibt es nicht

Prozesse aus der Leitung: Österle fallen nur zwei Beispiele ein, wo das funktioniert: Personalabrechnung und Fakturierung. Und Zweiteres sei noch nicht in allen Branchen der Fall; für Telco-Firmen etwa seien ihre Billing- und Ratingprozesse wettbewerbsentscheidend. "Wenn man heute einem für Fakturierung und Preisfindung zuständigen SAP-Verantwortlichen sagen wollte, das sei Commodity, würde der lachen", meint der Wissenschaftler, der auch CTO der schweizerisch-deutschen Beratungsgesellschaft International Management Group (IMG) ist. Seine Überzeugung: Es gebe keine "Legowirtschaft", Software sei nicht beliebig kombinierbar. "Wenn ich IT als Commodity akzeptiere, dann sage ich damit, dass ich mit den Geschäftsprozessen zufrieden bin, dass ich glaube, durch IT nichts verändern zu können: keinen Außendienst durch Mobiltechnology, keine Kundenintegration, keinen Dokumentenaustausch mit Lieferanten. Absurd."

Zur Startseite