Wasserkraft und Hochwasserschutz

Der teuer erkaufte Fortschritt durch Staudämme

14.01.2021
Staudämmer erleben weltweit einen Boom. Aber die immer größeren Talsperren können die Natur schwer schädigen - und die Energie aus Wasserkraftwerken ist keineswegs immer klimafreundlich.
Luftaufnahme des Solina-Damms, des größten Staudamms in Polen.
Luftaufnahme des Solina-Damms, des größten Staudamms in Polen.
Foto: Mateusz Lopuszynski - shutterstock.com

Der rote Teppich liegt aus, eine Blaskapelle spielt: Feierlich schreiten Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat und der sowjetische Staatschef Nikolai Podgorny im Januar 1971 über den Staudamm in Assuan. Tief unten sprudelt Nilwasser durch zwölf Turbinen der neu gebauten Kraftwerksanlage. Der wirtschaftliche Nutzen ist enorm: Erstmals kann der Mensch die Nilflut kontrollieren und Tausende Hektar Ackerland nach Bedarf bewässern. In ägyptischen Dörfern, zuvor noch ohne Stromanschluss, wird das Licht angeknipst.

Aber 50 Jahre nach Einweihung des Assuan-Hochdamms, den in großen Teilen die Sowjetunion finanzierte, gibt es ganze wissenschaftliche Abhandlungen allein über die Umweltschäden solcher Projekte. Erosion, Bodenversalzung, schlechtere Wasserqualität, Verdunstung und ein stark veränderter Lebensraum für Süßwassertiere sind nur einige Probleme. Die Organisation "River Watch" nennt Staudämme "einen der schlimmsten Eingriffe in die Natur", der Verein "Rettet den Regenwald" spricht von der "Ausrottung ganzer Tier- und Pflanzenspezies" und der Vertreibung von "Zigmillionen" Menschen.

Schäden größer als Vorteile

Pauschal lasse sich nicht sagen, ob der Nutzen eines Staudamms - etwa klimafreundliche Stromgewinnung oder Kontrolle über Hochwasser - die Schäden überwiege, sagt Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen. "Aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ist jedes Stauwerk eine Veränderung des Fließgewässers, eine Fragmentierung. Auch ganz kleine Staudämme bewirken eine Veränderung im Ökosystem." Das war wohl schon bei der römischen Proserpina im heutigen Spanien der Fall, gebaut im Jahr 130 nach Christus und einer der ältesten bekannten Staudämme der Welt.

Weltweit gibt es derzeit einen regelrechten Boom beim Bau neuer, immer größer werdender Staudämme, insbesondere zur Stromgewinnung. Ein Team um Zarfl hat in einer Datenbank mehr als 3.700 mittlere und große Wasserkraftwerke zusammengetragen, die sich in Planung oder bereits im Bau befinden. Die oft mächtigen Talsperren entstehen etwa in Südamerika im Einzugsgebiet des Amazonas und des La-Plata-Flusses, in Süd- und Ostasien - am Ganges-Brahmaputra und Jangtse - sowie in Afrika. Nach einer ersten Welle in den 1960er Jahren gebe es jetzt erneut großes Interesse wegen der Suche nach erneuerbaren Energiequellen, sagt Zarfl.

Stauseen verursachen klimaschädliche Treibhausgase

Dabei ist längst nicht sicher, dass ein Wasserkraftwerk immer klimaneutral oder -schützend arbeitet: Äste und anderes organisches Material sammeln sich in Stauseen und werden am Grund ohne Sauerstoff abgebaut. Dadurch entsteht Methan, als Treibhausgas rund 25 Mal klimaschädlicher als CO2. Dasselbe gilt, wenn bei der Befüllung von Stauseen Wälder geflutet werden. Eine internationale Forschergruppe errechnete in einer 2016 veröffentlichten Studie, dass Stauseen jährlich rund eine Milliarde Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase verursachen.

Doch die Hoffnung auf wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze sowie der weltweit steigende Energiebedarf sorgen dafür, dass Staudämme von den Flüssen dieser Welt nicht mehr wegzudenken ist. Mehr als 58.000 davon zählt die Internationale Kommission für große Talsperren (ICOLD) in Paris derzeit - jeweils mit Folgen für die Natur. "Wir müssen lernen, auch damit zu leben, dass so ein Fließgewässer nicht nur eine Wasserrinne ist", sagt Zarfl über die Ökosysteme. "Wir haben ein bisschen verlernt, was ein Fluss ist."

Der höchste Staudamm der Welt entsteht zurzeit in der Nähe des Städtchens Rogun in Tadschikistan. 335 Meter hoch ist das zentralasiatische Bauwerk. Es soll die Energieknappheit des verarmten Hochgebirgslandes an der Grenze zu Afghanistan bessern und - so hoffen nicht wenige - der Industrie mehr Wachstum bringen. Vor mehr als zwei Jahren nahm der autoritäre Präsident Emomali Rachmon die erste Turbine des Wasserkraftwerks offiziell in Betrieb. Experten rechnen damit, dass sich die Arbeiten noch bis zum Jahr 2028 hinziehen.

Geplant wurde das 3.600-Megawatt-Kraftwerk noch zu Sowjetzeiten. Das Mammutprojekt ist jedoch umstritten: Nachbar Usbekistan befürchtete, Tadschikistan könne ihm nach Belieben das Wasser abdrehen.

Solche grenzübergreifende Konflikte gibt es häufiger bei derartigen Projekten - etwa zwischen Äthiopien, dem Sudan und Ägypten beim Bau des künftig größten Staudamms in Afrika. Der Große Renaissance-Staudamm soll den Blauen Nil im Nordwesten von Äthiopien kurz vor der sudanesischen Grenze stauen. Das zeigt, dass solche Gewässerprojekte unabhängig von den ökologischen Folgen noch eine weitere, schwer bis unmöglich zu beantwortende Frage aufwerfen können: Wem gehört der Fluss? (dpa/rs)

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