Finance IT


300-Millionen-Euro-Projekt

Commerzbank räumt im Backend auf

Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Die Commerzbank hat über sechs Jahre an einer einheitlichen Finanzbuchhaltungssoftware gearbeitet. Die neue Lösung von SAP soll der Bank auch bei künftigen Digitalisierungsaktivitäten dienlich sein, wie CIO Stephan Müller erläutert.
  • Der handfeste Nutzen: gedrittelte Durchlaufzeiten und eine Single Source of Truth
  • Neues Data Warehouse wird derzeit mit Risikodaten befüllt
  • Einziges IT-Großprojekt, das parallel zur Integration der Dresdner Bank lief
  • "Kultur der Fehlertoleranz" entscheidend für Projekterfolg
Stephan Müller - CIO, Commerzbank: "Wir haben momentan in der öffentlichen Wahrnehmung einen starken Fokus auf die Dinge vorne, die aber nicht immer unbedingt Werte schaffen."
Stephan Müller - CIO, Commerzbank: "Wir haben momentan in der öffentlichen Wahrnehmung einen starken Fokus auf die Dinge vorne, die aber nicht immer unbedingt Werte schaffen."
Foto: Commerzbank

Die CommerzbankCommerzbank hat ein IT-Großprojekt mit Hilfe von etwa 300 Mitarbeitern Ende 2015 erfolgreich abgeschlossen - nach sechs Jahren mit Investitionen von insgesamt rund 300 Millionen Euro. Die Verantwortlichen, darunter Stephan Müller als Gruppen-CIO respektive Bereichsvorstand Group-IT, sind hörbar froh, erleichtert und auch ein wenig stolz auf das Erreichte und Errichtete. Obwohl das in der Welt der Architektur nicht unbedingt ein beeindruckendes Gebäude wäre. Also weniger ein Wolkenkratzer mit Glasfassade als vielmehr ein unspektakuläres, aber funktionelles Bauwerk im Untergrund mit starkem Fundament. Top-500-Firmenprofil für Commerzbank

Das Backend schafft den Mehrwert für die Bank

"Group Finance Architecture", kurz GFA, heißt dieses voluminöse IT-Projekt, an dem noch Rest- und Erweiterungsarbeiten laufen. Dahinter verbirgt sich eine Buchhaltungs- und Bilanzierungsplattform mit handfestem Nutzwert für die Bank: gedrittelte Durchlaufzeiten, eine Single Source of Truth für sämtliche Finanzdaten und bald auch für alle Risikodaten. "Nichts mit einer tollen Digitalisierungs-App dran", kommentiert Stephan Müller. Und schiebt einen paradigmatischen Satz hinterher: "Wir haben momentan in der öffentlichen Wahrnehmung einen starken Fokus auf die Dinge vorne, die aber nicht immer unbedingt Werte schaffen."

Der CIO betont den Wert des aus seiner Sicht zu Unrecht unterbeleuchteten Backends. Müllers Botschaft: Für die DigitalisierungDigitalisierung aus der Perspektive eines Kreditinstituts ist dieses mindestens genauso wichtig wie die schicken Apps für Smartphone und Tablet. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Die Commerzbank-Zentrale in Frankfurt
Die Commerzbank-Zentrale in Frankfurt
Foto: Commerzbank AG

Dass GFA so enorm geraten ist, liegt laut Müller an der im Vergleich zum ERP-System eines Industrieunternehmens deutlich größeren Komplexität der Banksysteme, die Milliarden Verbuchungen und unzählige Bewertungen verarbeiten müssen. An Hauptspeicherkapazität stehen satte 8 Terabyte zur Verfügung. Technologisch besteht GFA aus einem Financial Data Warehouse (FDWH) auf Basis von OracleOracle Exadata. Darauf setzt die eigentliche InnovationInnovation auf, die als Referenzprojekt mit SAPSAP entwickelt wurde: Eine Finanzbuchhaltungs-Software namens "SAP Bank Analyzer", die Bilanzabschlüsse sowohl nach Handelsgesetzbuch (HGB) als auch nach International Financial ReportingReporting Standards (IFRS) erstellen kann. Dieser Software wiederum liegt als Hochleistungsdatenbank SAP HANA zugrunde. Alles zu Innovation auf CIO.de Alles zu Oracle auf CIO.de Alles zu Reporting auf CIO.de Alles zu SAP auf CIO.de

Bewährungsprobe Jahresabschluss

Gespeist wird HANA aus dem FDWH, das sich momentan rasant weiterentwickelt. Bis Herbst 2015 nämlich wurden alle relevanten Daten der Finanzfunktion in das Warehouse gefüllt. Seit Anfang 2016 bis voraussichtlich Jahresende erfolgt die Befüllung mit den Daten der Risikofunktion, so dass eine einheitliche Datenbasis sowohl für die Finanz- als auch für die Risikoseite entsteht. Das gilt für den Moment jedenfalls für die Commerzbank selbst. Die Töchter des Hauses sollen bald ebenfalls unter das GFA-Dach schlüpfen. Der genaue Fahrplan dafür wird derzeit erarbeitet.

Die IT-Fakten der Commerzbank.
Die IT-Fakten der Commerzbank.
Foto: cio.de

Zeitliche Meilensteine lagen im Oktober und im Dezember 2015. Nach langem Test- und Parallelbetrieb erfolgte zunächst der eigentliche Go-Live in dem Sinne, dass seither die neue Architektur alleine läuft. Sogleich stand dann die Bewährungsprobe an: die Erstellung des Jahresabschlusses mit der neuen Lösung. Diese Feuertaufe verlief erfolgreich. Und überhaupt funktioniert die neue Lösung bisher zur vollen Zufriedenheit von CIO Müller. Dass es vorher ab und an mal ruckelte, liegt bei einem derartigen Langzeitprojekt in der Natur der Sache.

Das Projekt startete 2009

Der zeitliche Ablauf verdient ohnehin einen genaueren Blick. Der Startschuss für das GFA-Projekt fiel im Jahr 2009. In der Bank ahnte man, dass die regulatorischen Anforderungen der nahen Zukunft eine Datenkonsolidierung nötig machen würden. Man entschloss sich, den großen Schritt zu wagen und Neuland zu suchen. Vier Jahre waren ursprünglich dafür eingeplant.

Gleichzeitig stand sodann die Übernahme der Dresdner Bank auf der Agenda, die mit einer vieljährigen Integration der beiden IT-Systeme einherging. Müller betont, dass GFA als einziges IT-Großprojekt im Haus währenddessen weiterlief. Zeitlich wurde es freilich etwas gestreckt, bis die IT-seitigen Folgen der Fusion abgearbeitet waren. Ein weiteres Jahr der Verzögerung lässt sich mit einem Entschluss des Managements nach Projektstart erklären. Man beschloss, nicht nur die für die externe Aufsicht relevanten Daten in die neue Architektur einzupflegen, sondern auch jene für das interne Controlling. So profitiert die Bank nun davon, auch intern die relevanten Business-Daten verfügbar zu haben.

SAP HANA wurde nachträglich Teil des Projekts Group Finance Architecture

Noch nicht genau wissen konnten die Projektpartner 2009, dass In-Memory-Technologie ein Baustein des Ganzen sein würde. "Wir gingen damals schon von einer nicht linearen Entwicklung im Datenbankbereich aus", sagt Müller. Musste man sogar, denn mit der seinerzeit vorhandenen Technologie in diesem Bereich hätte man den Ansprüchen an das Projekt schwerlich genügen können. So wurde SAP HANA nachträglich ein Teil von GFA. Das erhöhte laut Müller zwar den Testaufwand noch einmal, führte aber nicht zu Verzögerungen und erwies sich letztlich angesichts der hohen Leistungsanforderungen im Projekt als segensreiche Fügung.

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