SAP-CEO Christian Klein im Interview

SAP hätte mehr auf das Customizing achten sollen

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

KI wird integraler Bestandteil der SAP-Lösungen

Die KI bietet an dieser Stelle also die Möglichkeit, Bereiche wie Demand and Supply intelligenter zu handhaben. Lagerhausverwaltung oder Logistik lassen sich so stark verbessern. Das liefert SAP als integrierten Bestandteil seiner Lösungen aus. Kunden müssen also nicht erst mit AWS-, Google- oder Microsoft-Tools separat solche KI-Services sozusagen als Add-On entwickeln.

Dazu kommt ein wichtiger Unterschied mit der Cloud: Wir können nicht nur die Daten eines Kunden, sondern tausender Kunden als Grundlage für Best Practices nutzen. Unsere Data Scientists können Algorithmen anhand der dort erkannten Muster deutlich besser trainieren.

Das funktioniert doch allerdings nur in sehr standardisierten Prozessen? Wer spezielle Anforderungen hat, kommt mit generisch trainierten Algorithmen nicht weit.

Klein: Doch, das funktioniert. Wir haben gemeinsam mit HPI und einem Kunden einen speziellen KI-Use-Case für die Commerce Cloud und die Produktion entwickelt. Dabei geht es um einen Farbenhersteller, der Millionen an Rezepten aus verschiedenen Zutaten und Mischformen im Programm hat. Wenn jetzt ein Kunde dieses Farbenherstellers bestimmte Anforderungen an eine Farbe hat, zum Beispiel in Sachen Frostbeständigkeit, dann kann die KI Empfehlungen für die passende Rezeptur geben.

Wir bauen das Standardmodell, aber der Kunde kann auf dieser Basis für sich weitere Anwendungsfälle definieren und mit uns gemeinsam umsetzen. Unser generatives KI-Standardmodell ist erweiterbar. Wir sehen natürlich, dass es kundenindividuelle KI-Anwendungen geben wird. Die können wir nahtlos in unser Standardmodell einbinden.

Momentan arbeitet SAP mit großen Sprachmodellen (LLMs) von Partnern wie von OpenAI, Aleph Alpha oder Cohere. Wie weit sind Sie denn mit eigenen Modellen?

Klein: SAP entwickelt keine eigenen Sprachmodelle, keine LLMs. Das überlassen wir den Partnern. Zudem entwickeln wir unseren Joule Copilot weiter in Richtung neuer Bereiche wie Finance, Supply Chain oder das Kundenmanagement.

Als nächsten Ausbauschritt soll unser KI-Modell auch Kreuzkorrelationen aus Daten erstellen können. Wenn Nutzer zum Beispiel eine Personalauswertung in SuccessFactors durchführen, können sie diese auch mit Finanzdaten abgleichen, um die Arbeits-Produktivität von Mitarbeitenden besser zu verstehen. Selbstverständlich geschieht das anonymisiert.

SAPs Co-Pilot Joule: Die Geschäftsdaten machen den Unterschied

Wir decken mit unseren Lösungen End-to-End-Prozesse ab. So kann sich auch Joule als Co-Pilot von der Konkurrenz abheben und durch eine bessere Datenkorrelation ganz andere Aufgaben bewältigen als ein Co-Pilot, der vielleicht auf überhaupt keine Geschäftsdaten zugreifen kann - schon gar nicht in der semantischen Qualität wie die von SAP und auch nicht in der Bandbreite wie SAP.

Wenn Sie von Daten sprechen - wie wichtig ist momentan noch die In-Memory-Datenbank HANA für SAP? Derzeit liegen andere Datenarchitekturmodelle wie Data Fabric oder Data Mesh im Trend.

Klein: SAP HANA bleibt von zentraler Bedeutung für uns. Wir haben all unsere Lösungen auf SAP HANA umgezogen. Anwendern bringt das den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht mehr verschiedene Datenbanken betreiben müssen. Es gibt keine Datensilos mehr innerhalb des SAP-Portfolios. Daten lassen sich aus SAP HANA bereitstellen, ohne diese aggregieren und replizieren zu müssen.

Dazu kommt der Performance-Aspekt. Mit der SAP HANA Cloud erhalten Kunden die notwendige Leistung und auch Elastizität, um beispielsweise mit Schwankungen im Geschäft (Peaks) umgehen zu können. Das versteht SAP HANA besser als jede andere Datenbank, vor allem auch wegen der guten Abstimmung zwischen Applikations-Layer und Datenbank.

SAP HANA bleibt Dreh- und Angelpunkt in SAPs Datenstrategie, sagt CEO Christian Klein, auch wenn dort nicht alle Geschäftsdaten liegen. "Hier müssen wir realistisch sein."
SAP HANA bleibt Dreh- und Angelpunkt in SAPs Datenstrategie, sagt CEO Christian Klein, auch wenn dort nicht alle Geschäftsdaten liegen. "Hier müssen wir realistisch sein."
Foto: SAP SE

Selbstverständlich liegen nicht alle Geschäftsdaten bei Kunden ausschließlich in SAP HANA. Hier müssen wir realistisch sein. Es wird noch einige Ankündigungen geben, wie sich andere Daten anbinden lassen, beispielsweise unstrukturierte Daten, die in Data Lakes liegen, von Hyperscalern oder Anbietern wie Databricks etc. Es geht darum, dass Daten nicht ständig repliziert werden müssen. Das ist einerseits ein Performance-, andererseits aber auch ein Kostenthema.

Wenn man Daten beispielsweise aus den sozialen Medien oder Konsumentendaten mit SAP-Daten korrelieren möchte, dann passt oft die Semantik nicht. Wir arbeiten derzeit daran, wie wir auch über unsere Plattform SAP Datasphere und die SAP Data Cloud ein Angebot generieren können, das quasi über den SAP-Tenant die Semantik über verschiedene Data Lakes hinweg optimiert.

Das Datenthema dürfte ja wohl auch entscheidend für den Erfolg der KI-Strategie sein.

Klein: Richtig. Ich denke, das wird bei der Nutzung von KI häufig noch unterschätzt und deswegen bin ich von unserer Strategie auch überzeugt: eine einheitliche Semantik über die Daten-Silos hinweg zu schaffen, und eben nicht nur SAP-Daten in die KI einbinden zu können.

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