Zukunftsforscher

Einfach-weiter-so geht auf Dauer nicht gut

15.11.2018
Müll vermeiden und beim Einkaufen an die Umwelt denken - das sind nicht mehr bloß Themen für Umweltaktivisten. Im Gegenteil: Öko-Ideen sind weit verbreitet. Doch dann kommt der innere Schweinehund ins Spiel. Wer kennt ihn nicht?

Ulrich Reinhardt leitet das Institut für Zukunftsforschung und erkundet die Erwartungen der Menschen. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er darüber, wie das Verhältnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Klimawandel und "grünes" Leben aussieht.

Frage: Eine Ihrer Umfragen ergab, dass die Hälfte der Menschen Nachhaltigkeit in Zukunft wichtiger findet als Wirtschaftswachstum. Ticken die Politik und die Menschen auf der Straße da ähnlich?

Antwort: Das eine bedingt das andere. Wenn ich mir die Bevölkerung anschaue, erkennen viele an, dass ein Einfach-weiter-so auf Dauer nicht gut gehen kann. Die Themen Klimawandel und Ressourcensparen sind angekommen. Auf lange Sicht wird die Politik auch die entsprechenden Maßnahmen einleiten, um das Ganze zu unterstützen - vor allem, wenn es sich volkswirtschaftlich niederschlägt. Das erleben wir in den letzten Jahren, ob es nun um Milliardenschäden durch die Hurrikans Sandy und Katrina in den USA geht, um Fukushima, oder, wie jüngst, um Ernteausfälle. Derzeit sind wir davon aber noch relativ weit entfernt.

Frage: Auch wenn viele eigentlich wissen, dass unser Verbrauch an Energie und anderen Rohstoffen zu hoch ist: Wo hakt es in der Praxis?

Antwort: Die tatsächliche Nutzung eines Autos liegt bei unter fünf Prozent, den Rest der Zeit steht es rum. Wenn ich an den Rasenmäher oder die Heckenschere denke, liegt die Nutzungszeit wahrscheinlich noch tiefer. Trotzdem meint jeder, einen Rasenmäher, eine elektrische Heckenschere und ein Auto besitzen zu müssen. In Deutschland sind wir jetzt bereit, den Müll zu trennen oder Standby-Geräte auszuschalten. Aber wenn es an die großen Sachen geht, weniger Fliegen, weniger Fleisch essen, vielleicht auch den Verzicht aufs ein oder andere Vollbad, tun wir uns nach wie vor schwer, weil das sonst direkten Einfluss auf unsere Lebensqualität hätte.

Frage: Wächst die Bereitschaft, Abstriche zu machen, je weiter wir in die Zukunft gehen?

Antwort: Das glaube ich. Es fängt an, wenn Leute sagen: Es muss nicht mehr jedes Jahr eine Flugreise sein oder alle zwei Jahre ein neues Smartphone. Auch die ganze Sharing-Economy (Geschäftsmodelle, die auf dem Prinzip des Teilens basieren; die Red.) wird ja gerade durch die jüngere Generation getrieben. Auch wenn die Jungen im Moment noch ziemlich viel konsumieren. Ob es mehr Car-Sharing-Angebote geben wird, ob der öffentliche Nahverkehr kostenlos wird, über all das kann man nachdenken. Das wären Steuerungsmechanismen.

Frage: Sind weltweite Lösungen denkbar?

Antwort: Es wäre eine Riesenherausforderung. Es ist auch problematisch, als westliche Industrienation den Indern oder den Brasilianern vorschreiben zu wollen: Ihr müsst euch nachhaltiger verhalten und dürft unsere Fehler nicht wiederholen. Das sind ja grundsätzlich erstmal Bedürfnisse der Menschen. Die sagen: Ich möchte aber mobil sein. Von vornherein zu sagen, es müssen alle auf das elektrische Auto sparen, das ist ja nicht realistisch.

Frage: Glauben Sie, dass sich in Zukunft, vielleicht analog zu so einer Bewegung zurück aufs Land, wieder mehr Menschen selbst mit Nahrungsmitteln versorgen werden und wollen?

Antwort: Sehr begrenzt. Man kann natürlich sagen, dass wieder eine Schrebergartenkultur aufkommt: Urban Gardening, gemeinschaftliches Anbauen und bewirtschaften von irgendwelchen Flächen. Das gibt es schon im Kleinen. Ich glaube, dass es das in Zukunft verstärkt geben wird. Aber wir können das nicht als Massenphänomen betrachten und sagen: In Zukunft baut jeder wieder seine Kartoffeln im Hinterhof an und kann sich selbst damit versorgen.

Frage: Zum Schluss, wie steht es um Ihre eigenen Erwartungen?

Antwort: Optimistisch, muss ich ganz klar sagen. Es gab in jeder Phase der Geschichte Herausforderungen und Probleme. Die große Herausforderung heute ist der Klimawandel. Früher hat man Lösungen gefunden, ich hoffe, dass es auch diesmal der Fall sein wird. Vielleicht muss es auch irgendwann von oben herab reglementiert werden, per Gesetz, wer was an Ressourcen verbrauchen darf. Das mag alles kommen, aber ich bin mir sicher, als Menschen werden wir die richtigen Schritte einleiten. Das ist ja sozusagen der Kern unseres Daseins, dass wir am Leben bleiben wollen.

ZUR PERSON: Ulrich Reinhardt, 48, ist Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, einer Initiative von British American Tobacco. Außerdem arbeitet er als Professor fu?r Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH Westku?ste in Heide in Schleswig-Holstein. Studiert hatte er Erziehungswissenschaft und Psychologie. (dpa/ad)

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