Strategien


IT und Geschäftsmodell

Wie Volvo sein Business transformiert

Karin Lindstrom ist Redakteurin bei CIO Sweden und Computer Sweden.
Volvo Cars verändert sowohl das Geschäftsmodell als auch die Produkte grundlegend. Dazu werden Kernsysteme standardisiert und Arbeitsmethoden angepasst.
Der Umstieg auf E-Mobilität und ein verschärfter Wettbewerb zwingen Volvo auch in der IT zu weitgreifenden Veränderungen.
Der Umstieg auf E-Mobilität und ein verschärfter Wettbewerb zwingen Volvo auch in der IT zu weitgreifenden Veränderungen.
Foto: emirhankaramuk - shutterstock.com

Die AutomobilindustrieAutomobilindustrie beschleunigt den Umstieg auf die E-Mobilität, und VolvoVolvo Cars will dabei eine Vorreiterrolle spielen. Der Umbruch der Branche entfesselt zudem eine neue Dynamik, da die technischen Plattformen im Vergleich zu Verbrennungsmotoren grundsätzlich einfacher gestrickt ist. Deshalb entstehen viele neue Automarken, der Wettbewerb nimmt zu, berichtet Tobias Altehed. Er leitet die digitale Organisation von Volvo Cars und gehört dem erweiterten Management-Team des Unternehmens an. Top-500-Firmenprofil für Volvo Top-Firmen der Branche Automobil

Die Gewichtung von Software und Hardware in Autos ändert sich ebenfalls dramatisch. Parallel zu diesen Entwicklungen stellt Volvo auch sein Geschäftsmodell um und wechselt zum Direktvertrieb. "Früher hatten wir keinen umfassenden Zugang zu den Daten über unsere Kunden, weil wir keinen direkten Kontakt hatten", begründet Altehed den Schritt. "Der direkte Vertrieb ermöglicht es uns, die Beziehung zu unseren Kunden während der gesamten Nutzung des Autos zu pflegen."

Der Spagat in der Systemlandschaft

Die großen Veränderungen der Systemlandschaft in allen Betriebsbereichen sind mit weitreichenden Folgen für die digitale Organisation verbunden. Altehed zufolge sind die IT-Systeme von Volvo über fünf Jahrzehnte entstanden, angefangen bei Mainframe-Umgebungen aus den 1970er Jahren bis hin zu modernen Technologien und Tools, die erst kürzlich eingeführt wurden: "Unsere Legacy-IT wird wahrscheinlich sechs oder sieben Jahrzehnte alt sein, bevor wir alles modernisiert haben. Aber wir gleichen das aus, indem wir zuerst in priorisierten Bereichen modernisieren, die mit der allgemeinen Transformation des Unternehmens abgestimmt sind."

Ein Großteil des Erbes stammt aus der Zeit, bevor Volvo Cars von der Volvo-Gruppe unabhängig wurde. Nachdem Ford das Unternehmen 1999 gekauft hatte, wurden einige große IT-Projekte der (damals) nächsten Generation durchgeführt. Daher stammen verschiedene Kernsysteme aus den frühen 2000er Jahren. Und als die chinesische Geely den Konzern 2010 übernahm, führte dies zwar zu einer geografischen Expansion. Allerdings hat es seitdem noch keine so grundlegende und umfassende Initiative gegeben, die digitale Landschaft zu modernisieren.

Mehr Systeme, mehr Komplexität

"Wir waren gut darin, unserer Landschaft nach und nach bestimmte Fähigkeiten hinzuzufügen, aber wir waren weniger erfolgreich, welche zu entfernen. So haben wir es inzwischen mit einer riesigen Bandbreite an Technologien zu tun", gibt Altehed zu. "Und wenn wir jetzt damit beginnen, Kernsysteme zu ersetzen und zu modernisieren, dann nicht, weil sie schlecht, instabil oder teuer sind. Sondern weil die Entwicklung in unserer Branche so schnell läuft und wir uns mit der vorhandenen Systemlandschaft nicht so schnell ändern können, wie wir wollen."

Schwieriger Systemwechsel

Der Austausch von Kernsystemen, die das Rückgrat eines Unternehmens bilden, ist nie einfach. ERP-Systeme, PLM-Systeme, Fertigungssysteme und Anwendungen in den Bereichen Einkauf, Logistik und Personalwesen müssen alle berücksichtigt werden. Vor allem die Umstellung des PLM-Systems für die Produktlebenszyklen ist eine der schwierigsten Herausforderungen. "Das derzeitige PLM-System wurde in den 1970er Jahren entwickelt und enthält alle Produktinformationen. Aber es bietet nicht alle Funktionen, die für die Produkte und Services der Zukunft erforderlich sind", berichtet Altehed. "Und darum implementieren wir jetzt ein Standardsystem für die Zukunft."

Ein weiteres Highlight auf der Agenda: die gewachsene Vernetzung der Systeme. "Eine Schwierigkeit besteht darin, dass unser heutiges PLM-System direkt mit etwa 500 anderen Applikationen verbunden ist", fügt der Volvo-Cars-Manager hinzu. Bei der Architektur der Zukunft geht es also auch darum, möglichst ohne direkte Verbindungen auszukommen. Jedoch ist es ist äußerst schwierig, aus dem Stand ein erfolgreiches IT-System einzuführen - daher die schrittweise Implementierung. "Selbst wenn irgendwo eine neue Fabrik gebaut wird, fängt man nicht einfach bei Null an." Zwar mag der Neubau auf der grünen Wiese wie eine Chance erscheinen, "aber wir wollen nicht riskieren, zu viel unerprobte Technologien einzuführen". Folglich kombiniert Volvo Cars einige alte Systeme mit neuen Lösungen, die zuvor in anderen Fabriken getestet worden sind.

Die Reise in die Cloud ist abgeschlossen

Im Vorgriff auf die Umstellung der Systemlandschaft hat der Autokonzern seine Cloud-Reise abgeschlossen - eines der großen Programme, als Altehed 2019 seine Stelle antrat. "Wir wollten unsere Rechenzentren hinter uns lassen, und das haben wir getan", sagt er. In weniger als einem Jahr wurde die Cloud-MigrationCloud-Migration absolviert, und ein großer Teil der Umgebung, in der Systemänderungen stattfinden, wird jetzt dort gehostet. Nicht mit umgezogen sind hingegen große Blöcke wie die Mainframe-Umgebung. Alles zu Cloud Computing auf CIO.de

Heute werden bei Volvo Cars größtenteils Standardsysteme eingesetzt, und die StrategieStrategie besteht darin, sie so wenig wie möglich anzupassen, berichtet Altehed. "In einigen Fällen wurden früher die Standardsysteme so weit customized, dass wir nicht in der Lage waren, die Vorteile zu nutzen, die sie bieten können." Selbst wenn man nun die Benutzer frühzeitig einbeziehe, gehe es nicht darum, ihre Anforderungen vollumfänglich umzusetzen. Die IT müsse vielmehr verstehen, wie der Demand mit den neuen Standardsystemen abgebildet werden kann. "Das ist eine ziemlich große Umstellung für das Unternehmen und die Mitarbeiter der digitalen Organisation. Wir müssen mehr Verantwortung für die Entwicklung unserer Produkte übernehmen und nicht nur als interner Lieferant für unser Business agieren." Alles zu Strategien auf CIO.de

Agile Methoden: Das Pendel schwingt zurück

Eine weitere Veränderung in der digitalen Organisation ist die Abkehr von einem rein agilen Ansatz. 2018 hatte die Digitalabteilung von Volvo Cars begonnen, in einem produktorientierten Modell agil nach dem SAFe-Framework zu arbeiten. Doch mit den großen Vorteilen stellten sich auch Nachteile ein. Die verbesserte Transparenz und die Art und Weise, wie das Unternehmen mit dem Backlog arbeitete, erhöhten zwar das Entwicklungstempo. Doch im Gegenzug führte das Fehlen klarer Rahmenbedingungen für die agilen Teams dazu, dass einige von ihnen nicht genau wussten, was überhaupt erwartet wird. Dadurch verlangsamte sich das Tempo wieder, und einige Teams zogen in die falsche Richtung.

"Wir haben nicht davon profitiert, dass wir die Steuerung und Kontrolle reduziert haben, sondern dadurch, dass wir die Wichtigkeit erkannt haben, Rahmenbedingungen mit klaren Grundsätzen und Richtlinien zu schaffen. So wissen die Teams, was sie zu tun haben", sagt Altehed. "Und wir sehen, dass unsere Teams autonomer sind und schneller werden, wenn sie wissen, was sie selbst entscheiden können und was nicht." Mit der Folge, dass es beispielsweise keine Rollen wie Scrum Master und Release Train Engineer mehr gibt, während Projekt- und Programm-Manager zurückgekehrt sind.

"Wir arbeiten jetzt wieder etwas traditioneller", räumt Altehed ein. Ein großer Teil dieses Lerneffekts stamme von Technologieunternehmen, die mit agiler Entwicklung gewachsen sind. "Diese haben uns geholfen, ein besseres und pragmatischeres Modell zu entwickeln." Aus der Erfahrung heraus erwartet der Manager, dass das Pendel in Bezug auf agile Arbeitsmethoden in einigen Bereichen zurückschwingen wird. "Wir haben uns schon früh auf agile Methoden eingelassen und verfolgen jetzt einen ausgewogeneren Ansatz. Ich persönlich halte es für wichtig, dass wir aus Erfahrungen lernen und uns entsprechend anpassen."

Entwickler glücklich machen

In den vergangenen zehn Jahren hat sich Volvo Cars immer mehr zu einem Softwareunternehmen entwickelt, das heute nicht nur im digitalen Bereich arbeitet, sondern auch enger mit den eigenen Produkten verbunden ist. So werden mehr Entwickler beschäftigt und neue Anforderungen an die interne Kultur gestellt.

Ein fliegender Start und starke Communities

Auch an einem reibungslosen Eintritt neuer Entwickler wurde gearbeitet - um sicherzustellen, dass die Zeit vom Onboarding bis zur Veröffentlichung des ersten Codes so kurz wie möglich ist. Hier geht es darum, einen schnellen und geordneten Zugang zu den Arbeitsmitteln zu ermöglichen. "Unser Werkzeugkasten hat sich erweitert, um moderner Kommunikation und Entwicklung gerecht zu werden", berichtet Altehed aus der Praxis. "Zusätzlich zu den reinen Entwicklungstools schafft zum Beispiel Slack eine starke Community, in der Zusammenarbeit und Kommunikation gefördert werden - auch in andere Bereiche des Unternehmens hinein."

Zudem sei es wichtig, verschiedene Karrierewege zu schaffen, sei es als Manager oder als spezialisierter Software-Ingenieur. Altehed sieht klare Vorteile darin, in einem Unternehmen und einer Branche zu arbeiten, die sich im Umbruch befinden. "Das Geschäft verändert sich ebenso wie der Bedarf an digitalen Lösungen." Daher müsse man die Transformation der Systemlandschaft nicht begründen - sie erkläre sich von selbst: "Bei uns geht es darum, sich intern zu transformieren, das agile Framework zu verändern, in die Kompetenzentwicklung zu investieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem Entwickler eines traditionellen Unternehmens gedeihen."

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation cio.com

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